Ein neuer GPS-Hinweis bringt Bewegung in eine der rätselhaftesten Kriminalgeschichten Frankreichs. Fast viereinhalb Jahre nach dem Verschwinden der Krankenschwester Delphine Jubillar aus Cagnac-les-Mines wird nun eine bestimmte Stelle in einem Waldgebiet erneut ins Visier genommen – ausgelöst durch hartnäckige Ermittlungsarbeit und technische Spuren, die bislang wenig beachtet wurden.
Ein Ort im Wald, ein nächtliches Signal
Man stelle sich vor: Es ist mitten in der Nacht, klirrend kalt, der 16. Dezember 2020. In einem abgelegenen Waldstück bei Mirandol-Bourgnounac – etwa 30 Kilometer vom Wohnort der Familie entfernt – empfängt ein Mobilfunkmast ein Signal vom Handy von Cédric Jubillar. Uhrzeit: 3:21 Uhr. Genau zu jenem Zeitpunkt, als Delphine verschwand.
Noch merkwürdiger: Schon am Vortag war das Handy dort geortet worden – um die Mittagszeit. Was also trieb den Ehemann der Vermissten dorthin?
Diese Fragen ließ man einst unbeantwortet. Damals gingen Ermittler davon aus, dass es sich um einen GPS-Fehler handelt, möglicherweise ausgelöst durch die Nutzung der YouTube-App. Klingt absurd, oder?
Doch eine Freundin von Delphine glaubt nicht an technische Irrtümer – und ihre Anwältin, Me Pauline Rongier, lässt nicht locker.
„Dort wurde nicht gründlich gesucht“
Rongier stützt sich auf ein zentrales Argument: Der exakte Punkt, an dem das Signal erfasst wurde, sei nie richtig untersucht worden. Die damaligen Suchaktionen beschränkten sich auf benachbarte Abschnitte – nicht aber auf den eigentlichen Ort. Möglicherweise, so meint sie, wurde die Stelle schlicht ausgelassen, weil sie schwer zugänglich ist. Keine Straßen, keine Zufahrt – nur dichter Wald.
Diese Nachlässigkeit will sie jetzt korrigieren lassen.
Sie hat deshalb eine förmliche Anfrage an die Präsidentin des Schwurgerichts in Albi gestellt. Die Forderung: erneute GPS-Auswertung des Telefons von Cédric Jubillar und gezielte Grabungen an der fraglichen Stelle – mit allen Beteiligten vor Ort, inklusive dem mutmaßlichen Täter.
Eine Inszenierung für die Öffentlichkeit? Oder der Versuch, endlich Antworten zu bekommen?
Die Verteidigung schießt zurück
Die Anwälte von Cédric Jubillar, der seine Unschuld von Beginn an beteuert, zeigen sich wenig beeindruckt. Für sie ist der Antrag nichts weiter als ein weiteres Zeichen dafür, dass die Ermittler – wie sie sagen – „nichts in der Hand“ hätten. Der Vorwurf: Man halte sich an Indizien fest, anstatt Beweise zu liefern.
Diese Debatte ist symptomatisch für den gesamten Fall. Denn was von außen wie ein klassisches Kriminaldrama wirkt, ist für die Angehörigen ein nicht enden wollender Albtraum. Ein Puzzle ohne letztes Teil. Und das fehlt – bis heute – in Form eines Körpers.
Ein Prozess ohne Leiche
Der Prozess gegen Cédric Jubillar beginnt am 22. September 2025. Es wird ein Verfahren unter den Augen der Nation, mit großem Medieninteresse und einer emotional aufgeladenen Atmosphäre. Vier Wochen lang soll in Albi verhandelt werden – und erneut spielt Technologie eine zentrale Rolle.
Geodaten, Mobilfunkdaten, Chatverläufe: Das digitale Profil der Tatnacht steht im Zentrum der Anklage. Und doch bleibt die Herausforderung gewaltig. Denn ohne Körper fehlt ein zentrales Beweisstück. Und damit ein wichtiges Fundament für die Anklage.
Könnte also ausgerechnet ein GPS-Punkt im Nirgendwo jetzt alles verändern?
Ein dunkler Fleck im Puzzle
In den Jahren seit Delphines Verschwinden wurden Dutzende Spuren verfolgt: verbrannte Höfe durchkämmt, Zeugenaussagen ausgewertet, sogar Hinweise von ehemaligen Mithäftlingen des verdächtigten Ehemannes berücksichtigt. Alles verlief im Sand. Jede Hoffnung – ein Strohhalm.
Und dennoch – dieser neue Hinweis bringt Bewegung. Nicht unbedingt, weil er handfeste Beweise liefert. Sondern weil er eine Lücke offenbart: die Möglichkeit, dass ein einziger, unscheinbarer Punkt übersehen wurde. Ein Ort, der nie ganz ausgeleuchtet wurde – buchstäblich wie sprichwörtlich.
Hoffnung trotz allem
Die neue GPS-Spur ist kein Wendepunkt – noch nicht. Aber sie ist ein Zeichen dafür, dass in diesem Fall noch nicht alles gesagt wurde. Vielleicht liegt die Wahrheit tatsächlich irgendwo zwischen den Bäumen von Mirandol-Bourgnounac verborgen. Vielleicht wartet sie dort seit vier Jahren.
Und vielleicht – das ist die Hoffnung der Angehörigen – bringt der kommende Herbst nicht nur den Prozess, sondern endlich auch Antworten.
Von Andreas M. Brucker
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!