Die Bretagne ist berühmt für ihre rauen Küsten, salzige Seeluft und pittoresken Strände. Doch Jahr für Jahr, besonders in den Sommermonaten, legt sich ein giftgrüner Schleier über diese Idylle: Teppiche aus Algen – „algues vertes“ – verwandeln Buchten in stinkende, toxische Fallen.
Und das ist längst kein ästhetisches oder touristisches Problem mehr.
Es geht um Leben und Tod.
Tote Strände, tödliche Gase
15.000 Tonnen Algen wurden allein 2023 im Département Côtes-d’Armor eingesammelt. Der Hotspot? Die Bucht von Saint-Brieuc – hier fand man 81 % aller gesammelten Grünalgen des Départements.
Die Ursache liegt auf der Hand: intensive Landwirtschaft, übermäßiger Einsatz von Düngemitteln, vor allem Nitrate. Sie fließen nach Regenfällen in Flüsse, dann ins Meer – und dort feiern die Algen ein explosives Wachstum.
Doch wenn sie verrotten, stoßen sie Schwefelwasserstoff aus – ein Gas, das in hoher Konzentration tödlich sein kann.
In Hillion, einer besonders betroffenen Gemeinde, wurden mehrfach Strände gesperrt, nachdem Messsensoren kritische H₂S-Werte erfasst hatten. Es riecht nach faulen Eiern – aber das ist nur der harmlose Teil der Wahrheit.
Der Jogger, der nie zurückkam
Jean-René Auffray, 50 Jahre alt, sportlich, gesund – er wollte am 8. September 2016 nur eine Runde joggen.
Er kehrte nie zurück.
Man fand ihn leblos in einer vasière, einem Schlickgebiet an der Mündung des Flusses Gouessant, dieser war bedeckt mit Grünalgen. Zunächst wiesen die Behörden einen Zusammenhang des Todes von Jean-René Auffray mit den Algen zurück.
Doch seine Familie und Umweltgruppen gaben keine Ruhe. Und sie bekamen jetzt recht.
Im Juni 2025 sprach die französische Justiz erstmals ein klares Urteil: Der Staat trägt eine Mitschuld am Tod des Joggers – weil er es über Jahre versäumt hatte, die Umweltgesetze gegen landwirtschaftliche Verschmutzung durchzusetzen.
Ein juristisches Beben. Und ein politischer Weckruf.
Millionen gegen Algen – und doch keine Wende?
Scon seit 2010 gibt es staatliche Aktionspläne zur Eindämmung der Algen. Der aktuelle Plan (2022–2027) verfügt über 130 Millionen Euro. Ziel: weniger Nitrat aus der Landwirtschaft.
Doch die Bilanz bleibt ernüchternd.
Umweltverbände kritisieren halbherzige Maßnahmen, lasche Kontrollen, fehlende Konsequenzen. Die Algen wachsen weiter – und mit ihnen die Frustration der Bevölkerung.
Hillion ist ein Ort im Dauerkrisenmodus. Die Bürgermeisterin, Annie Guennou, spricht von Erschöpfung und Ohnmacht.
Einige Bürger:innen haben sich an das Grün gewöhnt, blenden das Risiko aus. Andere leben in ständiger Angst – um ihre Gesundheit, ihre Kinder, ihre Umwelt.
Zwischen Resignation und Wut flackert nach dem Gerichtsurteil jetzt eine stille Hoffnung: Dass sich etwas ändert. Endlich.
Die gerichtlich festgestellte Verantwortung des Staates ist mehr als ein Urteil. Es ist ein Signal.
Ein Appell an Behörden, Politik, Landwirtschaft und Gesellschaft: Der Schutz von Umwelt und Menschenleben darf nicht länger auf später verschoben werden. Denn irgendwann ist später zu spät.
Was jetzt passieren muss?
Konsequente Umsetzung der Nitrat-Richtlinien. Förderung ökologischer Landwirtschaft. Echtzeit-Messsysteme. Schließung besonders gefährdeter Strände – nicht erst, wenn es bereits zu spät ist.
Und vor allem: ein kollektives Umdenken.
Denn die grünen Algen sind kein Schicksal – sie sind menschengemacht. Und damit auch: ein lösbares Problem.
Die Bretagne hat Besseres verdient als diese schleichende Katastrophe.
Ein toter Jogger, tonnenweise Algen, jahrzehntelanges Wegsehen – wie viele Warnsignale braucht es noch, bis das grüne Gift ernst genommen wird?
Autor: Andreas M. Brucker
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