Das Netzwerk X, ehemals Twitter, steht unter massivem Druck. Ein französisches Kollektiv namens HelloQuitteX fordert Nutzer – darunter Institutionen, Medien und Politiker – auf, die Plattform von Elon Musk zu verlassen. Mit einer eigens entwickelten App sollen Abwanderungswillige den Wechsel zu Alternativen wie Mastodon oder Bluesky erleichtert bekommen. Die Initiative zielt darauf ab, eine „kritische Masse“ zu schaffen, um X langfristig zu schwächen. Doch was steckt hinter diesem Aufruf, und wie sieht die Resonanz aus?
Ein Symboltag für den Massenexodus
Am 20. Januar, dem Tag der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident, hat das Kollektiv einen symbolischen Moment für den Massenabschied gewählt. Bereits seit Wochen häufen sich Ankündigungen von Organisationen, die X den Rücken kehren. Zu den prominentesten Abgängern gehören die Stadtverwaltung von Paris, das Institut Pasteur und zahlreiche NGOs wie Greenpeace oder Emmaüs France. Auch große Medienhäuser wie Mediapart oder Ouest-France haben ihre Profile auf X gelöscht.
In Europa haben sich zudem mehr als 60 deutsche und österreichische Universitäten verabschiedet. Sie kritisieren die Plattform als „antidemokratisch“ und sehen in der aktuellen Ausrichtung eine Gefahr für den öffentlichen Diskurs.
Warum verlassen so viele X?
David Chavalarias, Mitbegründer von HelloQuitteX und Mathematiker am CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique), erklärt: „X ist nicht mehr nur ein soziales Netzwerk, sondern eine Waffe, die die Demokratie bedroht.“ Mit der Umgestaltung von Twitter habe Musk algorithmisch Inhalte gefördert, die Polarisierung und Hass verstärken. Besonders gravierend sei der Einfluss auf politische Prozesse: Musk unterstützte offen extrem rechte Bewegungen und äußerte sich diffamierend über Politiker wie den britischen Premierminister Keir Starmer oder den deutschen Kanzler Olaf Scholz.
Musk nutzte X auch, um direkt mit Alice Weidel, der Vorsitzenden der AfD, zu sprechen und sie zu unterstützen – eine klare politische Positionierung, die in Europa auf scharfe Kritik stieß.
Die Herausforderung: Die „Gefangenschaft der Reichweite“
Viele Nutzer zögern jedoch, X zu verlassen – vor allem aus Angst, ihre Reichweite, Kontakte oder Informationsquellen zu verlieren. Hier setzt HelloQuitteX an: Mit einer eigens entwickelten App ermöglicht das Kollektiv, persönliche Daten von X herunterzuladen und soziale Netzwerke auf anderen Plattformen wiederherzustellen. Seit November wurden über 10 Millionen Verbindungen migriert. Nutzer können außerdem durch eine automatisierte Nachricht auf X ihren Abschied öffentlich machen und andere ermutigen, ihrem Beispiel zu folgen.
Politische Dimensionen des Protests
Besonders in der französischen Politik hat der Aufruf eine Debatte entfacht. Sandrine Rousseau, Abgeordnete der Grünen, forderte einen kollektiven Rückzug der linken Parteien von X. „Diese Plattform ist zu einem Resonanzboden der extremen Rechten und Desinformation geworden“, argumentiert sie. Einige Politiker, darunter Yannick Jadot, haben ihre Profile bereits gelöscht. Andere zögern noch, wie Marine Tondelier, die Vorsitzende von Les Écologistes: „Wir sollten geschlossen gehen. Allein ist es schwierig.“
Auf der rechten Seite des politischen Spektrums hingegen gibt es keine vergleichbare Diskussion. Marine Le Pen nutzte X kürzlich, um ihrem verstorbenen Vater öffentlich Tribut zu zollen – ein Zeichen dafür, wie fest die Plattform im politischen Alltag verankert ist.
Wird X in Europa verboten?
Die Europäische Union könnte der Debatte neuen Schwung verleihen. Laut Thierry Breton, EU-Kommissar für Binnenmarkt, verstößt X gegen europäische Regeln zur Bekämpfung von Desinformation und Hassrede. Eine vorübergehende Suspendierung der Plattform in der EU steht im Raum. Solche Maßnahmen wären beispiellos, könnten jedoch den Druck auf Elon Musk und X erheblich erhöhen.
Was bleibt von X?
Die Frage, die sich stellt: Wird der Exodus aus X tatsächlich die erhofften Veränderungen bewirken? Plattformen wie Mastodon oder Bluesky stehen zwar bereit, kämpfen aber mit technischen Hürden und einer geringen Nutzerbasis. Zudem bleibt fraglich, ob politische Akteure und Medien bereit sind, ihre zentrale Kommunikationsplattform dauerhaft aufzugeben.
HelloQuitteX will ein Umdenken einleiten – nicht nur für X, sondern für die gesamte digitale Kultur. „Wo wir kommunizieren, sagt viel darüber aus, welche Werte wir vertreten“, resümiert Chavalarias. Ob diese Botschaft Gehör findet, wird die Zeit zeigen. Doch eines steht fest: Der Aufruf zum Abschied von X ist mehr als nur ein symbolischer Protest – er ist ein Test für die Zukunft der öffentlichen digitalen Debatte.
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