Es reicht. Wie viele Male noch müssen wir durch knietiefes Wasser waten, unsere Kinder auf den Schultern tragen und zusehen, wie unsere Wohnzimmer sich in Seenlandschaften verwandeln, bevor jemand Verantwortung übernimmt?
Im Var – diesem sonnenverwöhnten Landstrich, der wie ein Magnet Touristen und Neubürger anzieht – hat sich über Jahrzehnte eine Entwicklung breitgemacht, die man heute getrost als Kurzschluss der Vernunft bezeichnen kann. Betonwüsten ersetzen Feuchtgebiete, Supermärkte verdrängen Auenlandschaften – und auf den ehemaligen Flussauen blühen Einfamilienhaussiedlungen. Klingt nach Wachstum, klingt nach Fortschritt – doch in Wahrheit haben wir uns selbst eine Falle gebaut.
Die aktuellen Überschwemmungen sind kein bloßes „Unwetter“. Sie sind ein Symptom. Ein Alarmsignal. Und ja – ein Mahnmal für jahrzehntelange Fehlentscheidungen.
Wer die Bilder gesehen hat, kann die Augen nicht mehr verschließen. Straßen, die zu Flüssen werden. Autos, die wie Spielzeugboote treiben. Menschen, die mit verzweifeltem Blick aus Fenstern schreien. Wer hier noch von „höherer Gewalt“ spricht, verkennt das wahre Drama: Es ist menschengemacht.
Jahr für Jahr mahnen Experten: Siedlungsbau in Überschwemmungsgebieten ist brandgefährlich. Und was geschieht? Die Bagger rollen weiter. Die Argumente der Bauherren klingen stets gleich – Wirtschaftswachstum, Wohnraum, Arbeitsplätze. Doch all das nützt nichts, wenn in der Nacht der Sintflut die Infrastruktur versagt, Kanäle überquellen, und kein Notausgang mehr erreichbar ist.
Natürlich: Der Klimawandel ist real. Er verstärkt die Extremwetterlagen, keine Frage. Aber es ist viel zu bequem, sich auf ihn zu berufen, während wir zeitgleich die natürlichen Schutzmechanismen systematisch vernichten. Versiegelte Böden, überforderte Kanalsysteme, falsche Standortwahl – die Liste ist lang. Und sie liest sich wie ein Armutszeugnis der Raumplanung.
Der Zorn der Bevölkerung ist greifbar. Wer sein Zuhause, seine Erinnerungen, sein Sicherheitsgefühl im Schlamm verliert, will keine Statistiken hören. Die Menschen fordern Aufklärung. Und vor allem: Konsequenzen!
Und jetzt Hand aufs Herz – wie kann es sein, dass 2025 noch immer Baugenehmigungen in bekannten Überschwemmungszonen erteilt werden? Haben wir nichts gelernt aus den Katastrophen von 2010, 2014, 2019 und den Folgejahren? Wie oft wollen wir Mutter Natur noch provozieren, bis sie endgültig zurückschlägt?
Die Behörden verweisen auf Pläne, Programme, Prävention – PPRI, PAPI und all die anderen Buchstabenspiele. Papier ist geduldig. Wasser nicht. Es sucht sich seinen Weg. Und es wird ihn finden. Ob durch ein Tal, ein Wohnviertel oder durch unser aller Wohnzimmer.
Verantwortung? Die liegt nicht nur bei Politik und Verwaltung. Auch wir als Gesellschaft tragen sie. Denn wir dulden das Spiel mit dem Risiko viel zu oft – aus Bequemlichkeit, aus Unwissen, manchmal auch aus Profitgier.
Doch so geht es nicht weiter.
Wollen wir wirklich noch zusehen, wie das Var zum Mahnmal eines gescheiterten Umweltschutzes wird? Oder drehen wir endlich das Ruder – mit Mut, Entschlossenheit und einem klaren Bekenntnis: Keine Urbanisierung auf Kosten der Natur. Keine Genehmigung gegen gesunden Menschenverstand.
Denn wer sich gegen die Natur stellt, wird früher oder später untergehen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Von Andreas M. Brucker
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