Tag & Nacht




Während im Nahen Osten Raketen fliegen, herrscht in Paris eine andere Form von Alarmbereitschaft – leise, innerlich, verzweifelt. Die iranische Diaspora in Frankreich steht unter Hochspannung. Seit dem 13. Juni, dem Tag, an dem Israel die ersten Luftschläge gegen das iranische Atomwaffen-Programm durchführte, ist die iranische Gemeinschaft in Paris ein Spiegelbild der Zerrissenheit. Einer Zerissenheit, die das iranische Volk seit Jahrzehnten prägt.

Viele der rund 25.000 Exil-Iraner in Frankreich leben seit Jahren oder gar Jahrzehnten im Westen – in relativer Freiheit, mit Blick auf ein Heimatland, das ihnen oft fremd geworden und doch unentrinnbar vertraut geblieben ist. Jetzt, inmitten eines eskalierenden Konflikts, kommt dieser Spagat an seine Grenzen.

Zwischen Befreiung und Besorgnis

Der Gedanke, dass der aktuelle Krieg das islamische Regime zu Fall bringen könnte, ist für viele mehr als nur Wunschdenken – er ist Hoffnungsschimmer und Schreckgespenst zugleich. Denn was folgt, wenn das Regime fällt? Ein demokratischer Neuanfang? Oder ein Machtvakuum, das neue Gewalt gebiert?

Eine in Paris lebende iranische Restaurantbetreiberin bringt die Dilemmatik präzise auf den Punkt: Sie hoffe auf das Ende des Regimes – und fürchte genau das. „Wenn es überlebt, kommt die Repression. Wenn es auf diese Weise stürzt, droht das Chaos.“ In diesen Worten schwingen die Erfahrungen eines Volkes mit, das zu oft mit dem hohen Preis des Wandels vertraut gemacht wurde.

Die Macht der Ohnmacht

Während in den Nachrichten Bilder zerstörter Häuser und verzweifelter Zivilisten kursieren, erleben viele Exil-Iraner in Frankreich ein anderes Trauma: das des Nicht-Wissens. Gespräche mit Angehörigen in Teheran? Kaum möglich. Die iranische Regierung schränkt das Internet ein, filtert Informationen, kappt Verbindungen.

Die Ungewissheit wird zur täglichen Begleiterin – und zur psychischen Last. „Ich erfahre von Bombenangriffen auf ein Stadtviertel, in dem meine Familie lebt – und dann bleibt mir nur das Warten“, sagt ein junger Mann, der seit Jahren in Paris lebt.

Die Kontraste sind brutal: Während dort Menschen um ihr Leben rennen, bleiben hier die Cafés nicht leer. Dieses Auseinanderklaffen erzeugt nicht nur Schuldgefühle – es nährt eine ohnmächtige Wut.

Zwischen zwei Fronten

Der Protest der Diaspora bleibt nicht aus. Am 19. Juni versammelten sich vor dem Panthéon rund 100 Menschen – mit Plakaten, mit Forderungen, mit klarer Haltung. „Wir kämpfen gegen das Regime in Teheran – aber wir lehnen es ab, dass Menschen unter Bomben sterben“, sagt die Anwältin und Aktivistin Chirinne Ardakani.

Es ist ein differenzierter, fast schon unzeitgemäßer Ton. Einer, der sich gegen die polarisierte Logik des Krieges stemmt. Kein Schwarz-Weiß, kein einfacher Schuldiger. Sondern ein Aufruf zur Vernunft – mitten in einer Lage, in der Rationalität immer seltener wird.

Der Preis des Exils

Die iranische Diaspora in Paris ist keine monolithische Gruppe. Sie umfasst Monarchisten, Reformanhänger, säkulare Linke, religiöse Dissidenten. Doch was sie eint, ist der Blick auf ein Land, dem sie entfremdet wurden – und das sie doch nie ganz losgelassen hat.

Dass dieser Blick nun geprägt ist von Sorge, Angst und Entsetzen, verwundert nicht. Aber er ist auch Ausdruck einer tiefen Loyalität – nicht zu einem Regime, sondern zu einem Volk.

Und es ist diese Loyalität, die in Paris zur politischen Haltung wird. In Mahnwachen, in Diskussionsforen, in Spendensammlungen. Es ist die stille Kraft des Exils – widerständig, wachsam, verletzlich.

Zwischen Hoffnung und Verantwortung

Es steht nicht der Westen vor der Frage, wie der Iran nach einem möglichen Regimewechsel aussehen könnte – es sind die Iraner selbst, auch und gerade jene im Ausland. Ihre Stimme, ihr Engagement, ihre Sorge – all das ist mehr als persönliche Betroffenheit. Es ist Teil eines weltweiten Ringens um das, was Freiheit sein kann – und was sie kosten darf.

Autor: Andreas M. B.

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