Die israelische Armee hat gestern ihre seit Langem erwartete Bodenoffensive in Gaza-Stadt begonnen – trotz Warnungen einiger ihrer engsten Verbündeten und unter Inkaufnahme massiver Gefahren für Hunderttausende palästinensischer Zivilisten.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnet die Operation als Versuch, die Hamas aus einem ihrer letzten Rückzugsräume zu vertreiben. Doch die Skepsis wächst: Selbst der israelische Generalstabschef sprach sich laut Berichten intern gegen die Offensive aus und plädierte stattdessen für ein Abkommen zur Freilassung der verbleibenden Geiseln.
Hilfsorganisationen warnen vor katastrophalen Folgen für die Zivilbevölkerung in Gaza-Stadt, die bereits fast zwei Jahre unter Hunger, Angst und Bombardierungen leidet. Zwar sind einige Bewohner geflohen, doch viele wissen nicht, wohin – oder wie sie überhaupt aus der Stadt fliehen könnten.
Der Angriff dürfte Israels internationale Isolation weiter verstärken. Menschenrechtsorganisationen werfen der Regierung zunehmend Kriegsverbrechen vor – ein Vorwurf, den Israel entschieden zurückweist. Eine UN-Kommission zur Untersuchung des Kriegs erklärte gestern, Israel begehe in Gaza einen Völkermord an den Palästinensern.
Wie lange die neueste Offensive andauern wird, ist unklar.
Hat Israel eine Strategie?
Netanjahu präsentiert den Einmarsch in Gaza-Stadt als entscheidenden Schritt zur endgültigen Zerschlagung der Hamas – doch dieses Narrativ ist nicht neu. Ähnliche Versprechen begleitete bereits frühere Offensiven, die letztlich in strategischen Sackgassen endeten: Hamas überlebte, israelische Geiseln blieben in Gefangenschaft, und palästinensische Zivilisten wurden in einem dystopischen Ausnahmezustand zurückgelassen.
Auch diesmal droht das gleiche Ergebnis: Eine dezimierte, aber nicht besiegte Hamas, Geiseln in ihrer Gewalt – und eine Region im Dauerchaos.
Für die Menschen in Gaza bleibt nur die Vertreibung
Nahezu alle Bewohner von Gaza-Stadt wurden im Verlauf des Kriegs mindestens einmal aus ihren Häusern oder Notunterkünften vertrieben. Viele berichten, dass ein erneutes Fliehen schlimmer wäre als das Ausharren im Kriegsgebiet. „Wenn wir jetzt gehen, werden wir nie zurückkehren“, sagt ein palästinensischer Professor.
Manche können sich eine Flucht schlichtweg nicht mehr leisten. Andere verweisen darauf, dass auch der Süden des Gazastreifens kein sicherer Ort sei.
Anfang September forderte die israelische Armee alle verbliebenen Zivilisten auf, in den Süden des Gazastreifens zu fliehen. Seither verließen rund 350.000 Menschen die Stadt.
Die Hamas kapituliert nicht
Nach Angaben lokaler Gesundheitsbehörden sind bisher zehntausende Palästinenser durch die israelischen Angriffe ums Leben gekommen. Dennoch weigert sich die Hamas, die verbleibenden Geiseln freizulassen oder zu kapitulieren.
Beobachter sehen darin eine bewusste Taktik: Die Hamas-Führung spekuliere darauf, dass Israel früher oder später einem Abkommen zustimmen müsse, das keine vollständige Unterwerfung der Organisation mehr zur Bedingung macht.
Auch in Israel wächst der Widerstand gegen Netanjahus Kurs
Rund zwei Drittel der israelischen Bevölkerung sprechen sich laut Umfragen für ein Abkommen zur Befreiung der Geiseln aus – im Gegenzug für die Freilassung palästinensischer Gefangener und ein Kriegsende. Kritiker werfen Netanjahu vor, den Krieg bewusst zu verlängern, um sich durch die Unterstützung rechtsnationaler Koalitionspartner politisch über Wasser zu halten.
Zudem wächst in Israel die Angst, dass ein Bodeneinsatz zum Tod der verbliebenen Geiseln führen könnte.
Trump zu zweitem Staatsbesuch in Großbritannien
US-Präsident Donald Trump und seine Frau Melania beginnen heute ihren zweiten Staatsbesuch im Vereinigten Königreich – empfangen von König Charles III. und Königin Camilla. Trump lässt ein politisch zerrissenes Land hinter sich, das vom Tod seines engen Verbündeten Kirk erschüttert ist, und taucht für kurze Zeit in ein Protokollmärchen aus Glanz und goldenem Zeremoniell ein.
Er ist der einzige gewählte Staatschef, dem zum zweiten Mal ein britischer Staatsbesuch zuteilwird – ein Zeichen dafür, wie weit das Vereinigte Königreich bereit ist zu gehen, um sich das Wohlwollen des US-Präsidenten zu sichern.
Weitere wichtige Nachrichten
- USA: Der 22-jährige Tyler Robinson wurde wegen des mutmaßlichen Mordes an dem rechten Aktivisten Kirk angeklagt. Ihm droht die Todesstrafe.
- Russland: Laut Ermittlern der Yale-Universität ist das geheime Umerziehungs- sowie Polizei- und Militärtrainingsprogramm für ukrainische Kinder aus besetzten Gebieten weit umfangreicher als bislang bekannt – ein weiteres mögliches Kriegsverbrechen.
- Ukraine/Polen: Nach dem Eindringen russischer Drohnen in den polnischen und rumänischen Luftraum bringt Warschau eine Flugverbotszone über der Ukraine ins Gespräch.
- Dänemark/Grönland: Eine Grönländerin wurde für unfähig erklärt, ihr Kind zu behalten – der Fall entfacht erneut Kritik an Dänemarks Umgang mit seiner autonomen Arktisregion.
- Trump: Der US-Präsident verklagt die New York Times und vier ihrer Reporter wegen angeblicher Verleumdung im Vorfeld der Wahl 2024.
Autor: P. Tiko
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!