Ein Morgenlauf, wie sie ihn so oft gemacht hat. Doch diesmal kam Agathe Hilairet nicht zurück. Seit Donnerstagmorgen fehlt von der 28-jährigen Joggerin jede Spur – ein Fall, der nicht nur ihre Familie, sondern auch ganz Frankreich erschüttert. Denn was mit einem einfachen Jogging-Ausflug begann, entwickelte sich in kürzester Zeit zu einer groß angelegten Suchaktion.
Agathe hatte am frühen Morgen ihre Laufschuhe geschnürt und war von ihrem Elternhaus in Vivonne aufgebrochen. Eine unscheinbare Gemeinde mit rund 4.500 Einwohnern, eingebettet in eine ländliche Landschaft – idyllisch und eigentlich sicher. Doch Stunden später war klar: Irgendetwas stimmt nicht. Ihr Vater meldete sie noch am selben Tag als vermisst. Die Behörden reagierten sofort.
Ein Puzzle aus Hinweisen
Die Ermittlungen laufen seither auf Hochtouren. Bereits am Freitag wurde ein offizieller Zeugenaufruf gestartet. Agathe ist sehr schlank, 1,65 Meter groß, nur 35 Kilogramm schwer. Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens trug sie ein dunkles T-Shirt, einen schwarzen Jogging-Shorts und ein Laufarmband mit ihrem Handy. Ihre Haare waren zusammengebunden. Der letzte bekannte Standort ihres Handys: Ein kleiner Waldabschnitt zwischen den Weilern „Les Grands Ormeaux“ und „Le Champ Salaud“, rund zehn Kilometer von Vivonne entfernt.
Seitdem: Funkstille.
Mehr als 30 Menschen meldeten sich auf den Aufruf hin. Ihre Hinweise – derzeit in Auswertung durch die Ermittler. Auch technische Daten wie Mobilfunkverbindungen und Standortdaten werden intensiv überprüft.
110 Gendarmen, Drohnen und ein Hauch von Hoffnung
Die Dimension der Suchmaßnahmen ist beeindruckend. Allein am Samstag durchkämmten über 100 Gendarmen das Gelände – unterstützt von rund 60 Soldaten, Mitgliedern der Zivilschutzorganisation, Agathes Joggingverein und etwa 50 freiwilligen Bürgern. Ein Helikopter mit Wärmebildkamera kreiste über der Region, die Flüsse und Teiche der Umgebung wurden von der Wasserschutzpolizei durchkämmt. Selbst ein Quad kam zum Einsatz, um schwer zugängliche Gelände abzusuchen.
Doch trotz aller Anstrengungen blieb Agathe verschwunden.
Die Spurensuche aus der Luft, am Boden und im Wasser – alles verlief bislang ohne Erfolg. Die Hunde der Spezialeinheit konnten nur begrenzt weiterhelfen, ihre Arbeit wurde inzwischen eingestellt. Das Gelände? Herausfordernd. „Ein schwieriges, ländliches Terrain“, so der Präsident des Zivilschutzes der Vienne, Nicolas Roger. Dichte Wälder, hohe Hecken, unübersichtliche Felder – ein Ort, an dem sich jemand gut verbergen oder unbemerkt verschwinden kann.
Stimmungsumschwung in Vivonne
In der Kleinstadt herrscht eine spürbare Anspannung. Die Bürgermeisterin Marie-Rose Bertaud beschreibt die Lage als „besondere Atmosphäre“. Journalisten und Gendarmerie-Hubschrauber prägen das Ortsbild. Die sonst so ruhige Gemeinde steht unter Beobachtung – und unter Schock.
Trotzdem bleibt ein Funken Hoffnung. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf“, sagt die Bürgermeisterin. Und sie ist nicht allein.
Ein Fall mit vielen offenen Fragen
Was ist mit Agathe passiert? Hat sie sich verirrt? Wurde sie Opfer eines Verbrechens? Oder gibt es ein ganz anderes Szenario, das bislang niemand in Betracht gezogen hat?
Die Ermittlungen konzentrieren sich nun auf die Analyse der bisher gesammelten Daten und Aussagen. Die groß angelegten Suchmaßnahmen vor Ort wurden zwar eingestellt – doch das bedeutet nicht, dass die Suche vorbei ist. Ganz im Gegenteil: Jetzt beginnt Phase zwei, die tiefere Auswertung.
Der Fall Agathe: Ein Symbol für Solidarität
Neben all der Ungewissheit hat der Fall auch etwas gezeigt, das Mut macht: den Zusammenhalt. Freunde, Nachbarn, Freiwillige – sie alle haben geholfen, ohne zu zögern. Menschen, die sonst nie ein Wort miteinander gewechselt hätten, standen plötzlich Seite an Seite. Der Wunsch, Agathe zu finden, hat sie vereint.
Und während Ermittler weiterhin jedes Detail untersuchen, bleibt eine Frage in der Luft hängen – eine Frage, die viele nicht mehr loslässt:
Wie kann ein Mensch mitten in Frankreich einfach verschwinden?
Von Andreas M. Brucker
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!