Der Begriff „Klimagerechtigkeit“ klingt zunächst vielleicht etwas abstrakt – fast wie ein juristisches Konzept mit grünem Anstrich. Aber hinter diesem Wort verbirgt sich eine der zentralen Fragen unserer Zeit: Wer trägt die Verantwortung für die Klimakrise – und wer muss am meisten darunter leiden? Und mehr noch: Wie sorgen wir dafür, dass aus einer globalen Umweltkrise keine globale Ungerechtigkeit wird?
Ein ungleiches Spiel: Wer verursacht, wer leidet?
Die nackten Zahlen sind eindeutig – und brutal: Länder des Globalen Nordens, allen voran Industrienationen wie die USA, Deutschland oder Japan, haben seit der Industrialisierung gigantische Mengen an Treibhausgasen in die Atmosphäre geblasen. Der Lebensstandard dieser Länder basiert zu einem erheblichen Teil auf genau diesem Ausstoß. Die Reichen haben sich ihren Wohlstand auch durch das Verheizen fossiler Rohstoffe erkauft.
Gleichzeitig zeigt sich die Kehrseite dieses Modells besonders deutlich im Globalen Süden. Dort verursachen Länder wie Mosambik, Bangladesch oder Guatemala nur einen winzigen Bruchteil der weltweiten Emissionen – und doch werden sie von den Folgen der Klimakrise oft mit voller Wucht getroffen: Extremwetterereignisse, Ernteausfälle, steigende Meeresspiegel. Ein bisschen zynisch, aber treffend formuliert: Sie zahlen den Preis für ein Fest, zu dem sie nie eingeladen waren.
Drei Ebenen der Ungerechtigkeit
Schauen wir genauer hin, zeigt sich die Klimakrise auf mindestens drei Ebenen zutiefst ungerecht – und jede dieser Ebenen verdient einen eigenen Blick.
1. Verursachung und Betroffenheit
Das Grundmuster ist einfach – und schmerzhaft klar: Die Hauptverursacher sind nicht die Hauptleidtragenden. Wer über Geld, Infrastruktur und technologische Möglichkeiten verfügt, kann sich besser gegen die schlimmsten Auswirkungen wappnen. Stabile Dämme, Frühwarnsysteme, Versicherungen gegen Klimaschäden – all das ist in wohlhabenden Ländern machbar.
Ganz anders die Situation in wirtschaftlich schwachen Regionen. Wenn der Monsunregen ausbleibt oder ein Zyklon ein Dorf verwüstet, stehen viele Menschen vor dem Nichts – ohne soziale Sicherung, ohne staatliche Hilfe, ohne Rücklagen. Das ist mehr als eine Umweltfrage. Es ist eine Frage der sozialen Fairness.
2. Räumliche Ungleichheit
Ein Kind, das heute in einem Vorort von Berlin aufwächst, lebt in einer ganz anderen klimatischen Realität als ein Kind in Dhaka oder Lagos. Dabei ist die geographische Ungleichheit keineswegs Zufall – sie ist Ausdruck einer globalen Machtverteilung, in der Länder des Globalen Südens oft benachteiligt sind.
Und die Realität ist noch härter: Die Regionen, die ohnehin schon mit Armut, schwacher Infrastruktur und politischer Instabilität kämpfen, sind auch die Regionen, die den Klimawandel am wenigsten bewältigen können. Hier potenziert sich das Problem.
3. Zeitliche Ungleichheit
Der Klimawandel ist eine tickende Zeitbombe – aber nicht alle sitzen gleich nah dran. Die Schäden, die heute durch Emissionen verursacht werden, treffen nicht nur uns, sondern vor allem die kommenden Generationen. Menschen, die heute noch gar nicht geboren sind, werden mit einer Welt konfrontiert, in der Naturkatastrophen zur Normalität gehören könnten.
Die Zeitdimension ist deshalb so brisant, weil wir damit eine ethische Verantwortung übernehmen müssen: gegenüber unseren Kindern und Enkeln. Können wir rechtfertigen, dass wir heute auf Kosten der Zukunft leben?
Klimagerechtigkeit – mehr als nur ein schönes Wort
Der Begriff „Klimagerechtigkeit“ ist nicht nur ein Appell, er ist eine politische Leitlinie. Er verlangt eine radikale Umverteilung von Verantwortung, von Ressourcen, von Handlungsspielräumen. Und das betrifft sowohl internationale Beziehungen als auch innerstaatliche Realitäten.
Wie soll das gehen?
Hier einige zentrale Forderungen, die aus dem Konzept der Klimagerechtigkeit folgen:
- Verursacherprinzip konsequent anwenden: Wer historisch und aktuell besonders viel CO₂ ausgestoßen hat, soll auch besonders viel zum Klimaschutz und zur Unterstützung der Betroffenen beitragen.
- Klimafinanzierung ausbauen: Reiche Länder sollen nicht nur Emissionen senken, sondern auch ärmere Länder finanziell dabei unterstützen, sich an den Klimawandel anzupassen.
- Wissen teilen: Technologien für nachhaltige Energie und Landwirtschaft müssen global verfügbar gemacht werden – nicht als Geschenk, sondern als Teil eines gerechten Ausgleichs.
- Soziale Gerechtigkeit im Blick behalten: Auch innerhalb der Länder gibt es Ungleichheiten – Klimapolitik muss deshalb armutsorientiert und inklusiv sein.
- Zukünftige Generationen schützen: Klimapolitik heute muss sich an der Frage messen lassen, welche Welt sie morgen hinterlässt.
Klimakrise trifft nicht alle gleich – auch innerhalb eines Landes
Das Argument, Klimagerechtigkeit sei nur ein Nord-Süd-Thema, greift zu kurz. Auch innerhalb von Gesellschaften gibt es massive Unterschiede. In vielen Ländern sind es einkommensschwache Haushalte, Menschen mit Behinderung, Alleinerziehende oder indigene Gruppen, die besonders verletzlich sind.
In den USA zum Beispiel zeigen Studien, dass schwarze und hispanische Communities überdurchschnittlich häufig in Gebieten mit hoher Luftverschmutzung leben oder überdurchschnittlich oft von Überschwemmungen betroffen sind. In Deutschland wiederum wohnen viele Menschen mit niedrigerem Einkommen in schlecht isolierten Wohnungen – sie leiden besonders unter Hitzewellen oder explodierenden Energiepreisen.
Klimagerechtigkeit bedeutet also auch: Innenpolitische Verteilungsgerechtigkeit muss mitgedacht werden.
Verantwortung heißt handeln – und zwar jetzt
Es geht nicht um Schuldzuweisungen. Sondern um Verantwortung. Und die ist klar verteilt.
Was mich daran manchmal fast verzweifeln lässt? Dass wir eigentlich alles wissen – und doch so zögerlich handeln. Die Daten sind da, die Technologien ebenfalls. Und dennoch kleben wir an fossilen Strukturen wie ein Kind an seinem Lieblingsspielzeug. Wir wissen, dass es schadet, aber wir können nicht loslassen.
Gleichzeitig sehe ich weltweit Initiativen, Bewegungen und Projekte, die Mut machen. Von indigenen Gemeinschaften, die ihre Wälder schützen, über Städte, die klimaneutral werden wollen, bis hin zu Jugendlichen, die für ihre Zukunft auf die Straße gehen. Dieser Funken Hoffnung – der fehlt uns in der Politik oft, aber er brennt noch. Zum Glück.
Zwei unbequeme Fragen zum Schluss:
Wie lange schauen wir noch zu, während andere für unseren Lebensstil bezahlen?
Und was sagen wir unseren Kindern, wenn sie uns in zwanzig Jahren fragen, warum wir nicht früher gehandelt haben?
Andreas M. Brucker
Quellen:
- IPCC (2023): Sixth Assessment Report. Intergovernmental Panel on Climate Change.
- UNFCCC (2021): Climate Finance in the Era of COVID-19.
- Oxfam (2020): Confronting Carbon Inequality.
- Climate Justice Alliance (2022): Principles of Climate Justice.
- Germanwatch (2023): Global Climate Risk Index.
- Chakrabarty, D. (2021): The Climate of History in a Planetary Age. University of Chicago Press.
- Klein, N. (2014): This Changes Everything: Capitalism vs. The Climate.
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