Tag & Nacht


Mitten im Herzen des Amazonasgebietes verhandeln derzeit Vertreter aus nahezu 200 Staaten über die Zukunft der internationalen Klimapolitik. Die COP30, die in diesem Jahr in der brasilianischen Stadt Belém stattfindet, steht symbolisch für eine neue Ära des Klimadialogs – eine Ära, die stärker auf Schutz natürlicher Ökosysteme, globale Klimagerechtigkeit und konkrete Umsetzung zielt. Doch zwischen ambitionierten Absichtserklärungen und komplexer Realität tun sich erneut große Gräben auf.

Eine symbolträchtige Wahl – mit politischen Untertönen

Belém, Hauptstadt des Bundesstaats Pará, liegt am Rand des Amazonasbeckens – einem der größten und zugleich gefährdetsten CO₂-Speicher der Welt. Mit der Wahl dieses Tagungsorts will Brasilien zeigen, dass Klimaschutz nicht nur in westlichen Metropolen diskutiert, sondern dort verhandelt werden muss, wo Naturzerstörung täglich Realität ist. Präsident Lula da Silva hat sich im Vorfeld der Konferenz als Fürsprecher eines neuen globalen Gesellschaftsvertrags für Klima und soziale Gerechtigkeit positioniert.

Gleichzeitig steht die Konferenz auch innenpolitisch unter Druck: Die brasilianische Regierung hat in großem Stil in die Infrastruktur investiert, um Belém COP-tauglich zu machen. Kritiker bemängeln jedoch, dass viele dieser Maßnahmen kurzfristig angelegt sind und indigene Gemeinschaften nicht ausreichend einbezogen wurden.

Vom Reden zum Handeln: Die Agenda der COP30

Im Zentrum der Konferenz stehen mehrere Kernfragen: Wie kann die Erderwärmung wirksam doch noch auf 1,5 Grad begrenzt werden? Wie wird die globale Klimafinanzierung verlässlich gestaltet? Und welche Rolle spielt der Schutz von Wäldern und natürlichen Kohlenstoffsenken in künftigen Strategien?

Der erste globale Bestandsbericht (Global Stocktake) nach dem Pariser Abkommen bildet einen zentralen Referenzpunkt der Verhandlungen. Er zeigt: Die bisherigen Anstrengungen reichen nicht aus. Viele Staaten haben ihre nationalen Klimaziele nur unzureichend angepasst, während die CO₂-Emissionen weltweit weiter steigen. Die Verhandlungen zielen nun darauf ab, neue Mechanismen zur Nachbesserung zu etablieren – darunter verpflichtendere Zwischenziele und erweiterte Transparenzstandards.

Besondere Aufmerksamkeit gilt dem globalen Süden. Entwicklungsländer fordern höhere finanzielle Zusagen von Industriestaaten – sowohl für die Anpassung an Klimafolgen als auch für den Ausgleich bereits entstandener Schäden („Loss and Damage“). Das Vertrauen in die westlichen Zusagen ist jedoch beschädigt. Viele der angekündigten Milliardenbeträge sind bislang nicht geflossen oder wurden durch bürokratische Hürden für die Empfängerländer unerreichbar.

Proteste, Parallelgipfel und indigener Widerstand

Die Atmosphäre in Belém ist angespannt. Immer wieder kommt es zu Protesten, insbesondere durch indigene Gruppen und Umweltaktivisten. Sie beklagen, dass trotz der symbolischen Bedeutung des Tagungsorts die Stimmen der lokalen Bevölkerung zu wenig Gehör finden. In mehreren Fällen kam es zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften.

Parallel zur offiziellen COP findet ein zivilgesellschaftlicher Gegengipfel statt, bei dem NGOs, Wissenschaftler und indigene Vertreter alternative Klimapfade diskutieren. Hier wird deutlich, wie groß die Kluft zwischen offizieller Diplomatie und der Realität vor Ort ist. Während Staatschefs und ihre Vertreter über globale Märkte und Emissionshandelssysteme verhandeln, geht es für viele Menschen im Amazonas um den täglichen Kampf gegen illegale Abholzung und Landraub.

Neue Allianzen, alte Blockaden

Im Hintergrund der Verhandlungen zeichnen sich neue geopolitische Allianzen ab. Brasilien, Indonesien und die Demokratische Republik Kongo – drei der größten Regenwaldnationen – streben eine stärkere Koordination ihrer Waldschutzstrategien an. Ihr Ziel: Zugang zu internationalen Finanzmitteln und Mitsprache bei der Ausgestaltung globaler Emissionsmärkte.

Gleichzeitig blockieren einige große Emittenten substanzielle Fortschritte. Länder wie China, Indien und auch Saudi-Arabien bestehen auf ihrer Souveränität in Energiefragen und lehnen verbindliche Reduktionsziele ohne entsprechende Gegenleistungen ab. Auch innerhalb der EU gibt es Uneinigkeit: Während Frankreich und Deutschland höhere Ambitionen fordern, drängen osteuropäische Staaten auf wirtschaftliche Ausnahmeregelungen.

Europas Rolle – und Frankreichs Blick nach Belém

Für Europa steht bei der COP30 viel auf dem Spiel. Der europäische Emissionshandel, die geplante CO₂-Grenzsteuer und internationale Klimaabkommen müssen künftig stärker verzahnt werden. Frankreich verfolgt mit besonderem Interesse die Entwicklungen rund um den Tropenwaldschutz – nicht zuletzt wegen seiner eigenen Gebiete in Übersee wie Französisch-Guayana. Zudem hat Präsident Macron mehrfach betont, dass Frankreich eine vermittelnde Rolle zwischen Norden und Süden einnehmen will.

Doch auch in Europa wächst die Kritik an einer klimapolitischen „Doppelmoral“: Einerseits werden ambitionierte Ziele formuliert, andererseits fehlen oft tragfähige Strategien für deren soziale und wirtschaftliche Umsetzung. Die COP30 könnte zum Prüfstein für die Glaubwürdigkeit europäischer Klimapolitik werden – und für die Fähigkeit, auch über nationale Interessen hinaus zu denken.

In Belém entscheidet sich damit nicht nur, wie ernst es der Welt mit dem Pariser Abkommen ist. Die Konferenz wird auch zeigen, ob die Klimapolitik der Zukunft inklusiver, gerechter und wirksamer gestaltet werden kann – oder ob sie erneut an alten Mustern scheitert.


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Autor: Andreas Brucker

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