Ein tödlicher Hitzeschock, eine mutige Tochter – und die Frage: Wer trägt eigentlich die Verantwortung für die Erderwärmung?
Im Sommer 2021 erstickte der pazifische Nordwesten unter einer Hitzeglocke. Die Temperaturen stiegen auf über 40 Grad Celsius, als wären wir plötzlich in der Sahara gelandet – mitten in Washington State. In diesem toxischen Ofen verlor Juliana Leon ihr Leben. 65 Jahre alt, unterwegs von einem Arzttermin, stieg sie aus dem Auto, ließ die Fenster herunter – und wurde später tot aufgefunden. Todesursache: Hyperthermie. Hitze also. Oder, genauer gesagt: Klimawandel.
Ihre Tochter, Misti Leon, hat jetzt etwas getan, das Aufsehen erregt: Sie hat sieben der weltweit größten Öl- und Gaskonzerne verklagt. Wegen fahrlässiger Tötung. Der Vorwurf? Diese Firmen hätten seit Jahrzehnten gewusst, dass ihre Produkte die Erderwärmung anheizen – und trotzdem weitergemacht. Ohne Warnung, ohne Verantwortung. Einfach weiter gebaggert, gepumpt und verkauft.
Was macht diese Klage so besonders? Es ist die erste dieser Art, die explizit den Tod eines Menschen mit dem Verhalten der fossilen Industrie verknüpft. Ein juristischer Urknall?
Der Kampf um Gerechtigkeit zieht in die Gerichtssäle
Und das ist nur ein Puzzlestück in einem viel größeren Bild. Denn überall in den USA – von Charleston bis Kalifornien – laufen ähnliche Klagen. Städte, die regelmäßig unter Wasser stehen, fordern Entschädigung. Jugendliche, deren Zukunft auf dem Spiel steht, verklagen die Regierung. Und überall steht dieselbe Frage im Raum: Wenn wir wissen, dass CO₂ unser Klima kippt – warum handeln die Verantwortlichen nicht?
Charleston zum Beispiel, eine charmante Stadt an der Küste von South Carolina, kämpft seit Jahren mit Überschwemmungen. In manchen Jahren war dort jeder fünfte Tag ein „Wassertag“. Die Stadt verklagt fossile Konzerne, weil sie – so die Argumentation – jahrzehntelang gewusst haben, dass ihre Produkte den Meeresspiegel steigen lassen. Und dennoch: Schweigen, Lobbyismus, PR-Kampagnen.
Der damalige Bürgermeister von Charleston hat es drastisch formuliert: Diese Unternehmen hätten die Wahrheit so tief vergraben wie ihre eigenen Bohrtürme.
Wissenschaft als Zeugin der Anklage
Und die Wissenschaft? Sie steht mittlerweile felsenfest. Modelle zeigen: Die Hitzewelle von 2021 – die, bei der Juliana Leon starb – wäre ohne den menschgemachten Klimawandel nahezu unmöglich gewesen. Ein Zufall? Wohl kaum.
Forscher haben herausgefunden, dass nur ein Bruchteil der weltweit größten Konzerne für den Großteil der historischen CO₂-Emissionen verantwortlich ist. Und diese Konzerne wiederum wussten seit mindestens den 1970er-Jahren Bescheid. Wussten, dass ihr Handeln katastrophale Folgen haben würde – und entschieden sich trotzdem für den Profit.
Muss man das wirklich noch juristisch beweisen? Ja, leider schon. Aber der Wind dreht sich. In Montana etwa gewannen Jugendliche kürzlich ein Verfahren, das die Regierung verpflichtete, die Auswirkungen ihrer Energiepolitik auf das Klima zu berücksichtigen. Und in Hawaii läuft eine Klage, bei der Jugendliche gegen umweltfeindliche Gesetze vorgehen – mit ersten Erfolgen.
Die Jugend erhebt ihre Stimme – und verklagt Präsidenten
Ganz aktuell: Eine neue Klage richtet sich direkt gegen die Exekutivanordnungen von Donald Trump. Laut Kläger:innen untergraben diese nicht nur den Klimaschutz, sondern auch verfassungsmäßige Rechte junger Menschen. Eine 19-Jährige, Eva Lighthiser, sagt: „Ich will nicht klagen – ich muss es tun. Es geht um mein Leben, meine Zukunft, mein Recht, die Wahrheit zu sagen.“
Wie oft haben wir diesen Satz schon gehört? Dass die junge Generation Verantwortung übernimmt, weil die Älteren versagt haben? Ist das nicht ein Armutszeugnis für Politik und Wirtschaft?
Was bedeutet das alles für uns?
Dass diese Klagen stattfinden, ist ein Signal: Die Zeiten, in denen fossile Konzerne einfach davonkamen, könnten vorbei sein. Der öffentliche Druck steigt. Und selbst wenn viele Verfahren (noch) nicht vor Gericht gewinnen – sie verändern die Debatte. Sie stellen klar: Wer sich jahrzehntelang an der Zerstörung des Klimas beteiligt hat, soll nicht ungeschoren davonkommen.
Noch stehen die Gerichte am Anfang dieses Weges. Aber es gibt Bewegung. Und Hoffnung.
Könnten diese Klagen das neue Kapitel im Kampf gegen den Klimawandel aufschlagen?
Oder fragen wir anders: Was, wenn sie unsere letzte Chance sind?
Denn politische Maßnahmen hinken der Realität hinterher. Und während die Gletscher schmelzen und die Hitzewellen zur tödlichen Normalität werden, bringen mutige Einzelpersonen die Klimakrise in den Gerichtssaal – einen Ort, an dem Fakten zählen.
Vielleicht braucht es genau das: weniger leere Versprechen, mehr knallharte Urteile.
Von Andreas M. Brucker
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