Tag & Nacht

23 Prozent. Das ist der Anteil der Wählerinnen und Wähler in Deutschland, die den Klimaschutz als das wichtigste Thema bei den kommenden Bundestagswahlen ansehen – ähnlich waren die Zahlen bei der Wahl in Frankreich vor einem Jahr. Anders ausgedrückt: Mehr als drei Viertel der Menschen setzen immer noch andere Prioritäten. Doch warum ist das so? Klimakrise, Hitzewellen, Hochwasser, Dürren – all das passiert nicht irgendwo weit weg, sondern längst hier, vor unserer Haustür. Und trotzdem reicht es für den Klimaschutz nicht einmal für die Top-Platzierung auf der Sorgenliste der Deutschen und Franzosen.

Klar, es gibt viele drängende Probleme: Inflation, soziale Ungleichheit, Wohnungsnot, Kriege. Aber ist es nicht verrückt, dass ausgerechnet die Krise, die die Existenzgrundlage unserer Zivilisation bedroht, im Wahlkampf oft nur eine Nebenrolle spielt?

Wählerinteressen: Wo steht der Klimaschutz?

Wahlentscheidungen sind eine komplizierte Sache. Die meisten Menschen stimmen nicht nur nach einer einzigen Priorität ab. Viele machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz, steigende Mieten oder die Renten. Andere wählen nach Parteibindung oder aus Frust über die aktuelle Politik. Klimaschutz wirkt da oft wie ein „Luxusproblem“, etwas für „die anderen“ – junge Leute, Idealisten, vielleicht Wissenschaftler.

Doch ist das wirklich so?

Umfragen zeigen, dass viele Menschen durchaus beunruhigt über den Klimawandel sind. Doch zwischen „sich Sorgen machen“ und „danach wählen“ liegt ein großer Unterschied. Denn im Alltag spüren viele andere Krisen unmittelbarer: Die steigenden Energiekosten treffen das Portemonnaie direkt, während die nächste Flutkatastrophe abstrakt bleibt – bis sie einen selbst betrifft.

Die Klimakrise: Zu langsam für den Wahlkampf?

Ein großes Problem ist die Zeitdimension der Klimakrise. Sie entwickelt sich über Jahrzehnte, während politische Wahlkämpfe im Rhythmus von vier Jahren stattfinden. Parteien müssen schnell Punkte sammeln, mit einfachen Lösungen überzeugen. Doch die Klimakrise ist komplex. Klimaschutz erfordert langfristige Strategien, die oft erst nach mehreren Legislaturperioden Früchte tragen.

Dazu kommt: Klimaschutz ist unbequem. Wer auf Kohle und Gas verzichten will, muss umsteuern – bei Verkehr, Industrie, Landwirtschaft. Das kostet Geld, verursacht Widerstände und bringt Veränderungen mit sich. Wer will schon Wahlkampf mit höheren Spritpreisen oder weniger Fleischkonsum machen?

Stattdessen erleben wir eine Politik, die den Wandel oft eher abfedert als aktiv gestaltet. Nehmen wir die Diskussion um das Heizungsgesetz: Die Debatte wurde emotional geführt, Ängste wurden geschürt. Plötzlich hatte Klimaschutz für viele nichts mehr mit Zukunftshoffnung zu tun, sondern mit Kosten und Zwang.

Das Ergebnis? Menschen verbinden Klimapolitik nicht mit Fortschritt, sondern mit Belastung – und setzen ihre Kreuzchen lieber bei Themen, die sich leichter greifen lassen.

Wer sind die 23 Prozent?

Schauen wir uns die Zahlen genauer an. Diejenigen, für die Klimaschutz das wichtigste Thema ist, sind oft jünger, besser gebildet und leben häufiger in Städten. Vor allem Wähler der Grünen und der Linken sehen die Klimakrise als oberste Priorität. In ländlichen Regionen und bei älteren Generationen hingegen stehen Themen wie soziale Sicherheit oder wirtschaftliche Stabilität höher im Kurs.

Dabei könnte man meinen, dass gerade Menschen auf dem Land – mit mehr direktem Bezug zur Natur – sich stärker für Klimaschutz einsetzen würden. Doch hier spielt oft eine andere Wahrnehmung mit: Klimaschutzmaßnahmen bedeuten für viele Landbewohner Einschränkungen, etwa beim Auto oder in der Landwirtschaft.

Und genau da liegt der Knackpunkt. Klimapolitik wird oft als etwas gesehen, das Verzicht fordert, anstatt Vorteile zu bringen.

Die Rolle der Medien und der Parteien

Ein weiterer Faktor ist die Art und Weise, wie Klimathemen im öffentlichen Diskurs behandelt werden. Medien berichten zwar regelmäßig über extreme Wetterereignisse, aber Klimaschutz selbst wird oft in trockene Zahlen und Zielvorgaben verpackt.

Schlimmer noch: In manchen Debatten wird Klimapolitik bewusst als Bedrohung dargestellt. Statt über Lösungen zu sprechen, dominieren oft Schlagzeilen über „Verbote“ und „Einschränkungen“. Das führt dazu, dass viele Menschen sich gegen Klimaschutzmaßnahmen wehren, anstatt ihre Chancen zu erkennen.

Die Parteien sind hier nicht unschuldig. Statt Klimaschutz als Wirtschaftsmotor oder soziale Chance zu verkaufen, bleibt es oft ein Randthema oder wird sogar zur politischen Angriffsfläche. Der kurzfristige Wahlerfolg zählt mehr als die langfristige Verantwortung.

Was muss sich ändern?

Wie könnte Klimaschutz endlich die Bedeutung bekommen, die er verdient? Vielleicht so:

  1. Klare Kommunikation – Klimapolitik muss nicht nur Bedrohung, sondern auch Chance sein. Neue Jobs, weniger Abhängigkeit von fossilen Energien, lebenswertere Städte – all das sind Argumente, die Menschen überzeugen können.
  2. Mehr Verbindung zum Alltag – Wenn Menschen Klimaschutz als etwas empfinden, das ihr Leben verbessert, statt erschwert, dann steigt auch die Akzeptanz. Warum nicht über günstigeren ÖPNV sprechen statt über „Verbote“?
  3. Langfristige Anreize schaffen – Steuervergünstigungen für klimafreundliche Technologien, Investitionen in erneuerbare Energien und eine gerechtere Verteilung der Kosten könnten helfen, Klimaschutz sozial verträglicher zu machen.
  4. Medien und Politik in die Pflicht nehmen – Klimaschutz darf kein Randthema bleiben. Wenn Politiker und Medien es ernst meinen, müssen sie es auch so behandeln – und nicht nur dann, wenn gerade eine Naturkatastrophe passiert.

Die Frage bleibt: Reichen 23 Prozent?

Nein. Die Klimakrise wartet nicht darauf, dass die Mehrheit der Wähler sie als dringlichstes Problem anerkennt. Doch jede Stimme für den Klimaschutz zählt – und vielleicht sind es beim nächsten Mal ein paar mehr.

Von Andreas M. Brucker

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