Tag & Nacht

Im Elsass entfacht eine hitzige Debatte um Hirsche und andere Wildtiere. Während die einen den Schutz dieser majestätischen Waldbewohner fordern, pochen andere – allen voran Landwirte und Förster – darauf, ihre Zahl drastisch zu reduzieren. Es scheint, als prallten hier zwei Welten aufeinander: die Liebe zur Natur und die Sorge um ihre Balance. Doch wie kam es zu dieser brisanten Situation?


Die Jagdquote: Realität oder Wunschdenken?

„Mission impossible“ – mit diesen Worten beschreibt Gilles Kaskuz, Präsident der Jägervereinigung im Haut-Rhin, die diesjährige Abschussquote für Hirsche. 2.000 Tiere sollen im Winter geschossen werden, so sieht es der Plan der Präfektur vor. Doch laut Kaskuz fehlt dafür schlicht die Grundlage: „Diese Tiere sind nicht mehr da. Die Population ist gesunken.“

Die Jäger betonen, dass sie in den vergangenen Monaten intensiv gejagt hätten – besonders im November, Dezember und Januar. Aber selbst bei verstärktem Einsatz sei die Quote nicht zu erfüllen. Stattdessen beklagen sie, dass ihre eigene Arbeit zunehmend in der Kritik steht, obwohl sie versuchen, dem vorgegebenen Plan zu folgen.

Doch wie passt das mit der Wahrnehmung von Förstern und Landwirten zusammen, die von einer Überpopulation sprechen? Sind die Hirsche tatsächlich weniger geworden – oder verstecken sie sich nur geschickter?


Zerstörung der Wälder: Eine Frage des Hungers

Was passiert, wenn Nahrung knapp wird? Die Antwort ist einfach: Tiere – und Menschen übrigens auch – greifen zu, wo sie können. Laut Rémy Groff, Präsident der Forstvereinigung im Zentrum des Haut-Rhin, richten die Hirsche erhebliche Schäden an. „Wenn sie hungrig sind, fressen sie einfach alles, was da ist“, so Groff.

Das Problem betrifft besonders junge Bäume und Triebe, die von den Tieren abgefressen werden. Ohne Nachwuchs verjüngen sich die Wälder nicht, und langfristig könnte dies die Biodiversität der Region bedrohen. Besonders junge Laubbäume, die essenziell für den Waldumbau in Zeiten des Klimawandels sind, leiden unter dem Appetit der Tiere.

Hinzu kommt der wirtschaftliche Druck. Waldbesitzer, die auf Holz als Einnahmequelle angewiesen sind, sehen ihre Existenz gefährdet. Jeder Baum, der nicht wachsen kann, ist ein Verlust – und nicht nur ein kleiner.


Ein seltenes Bündnis: Landwirte und Umweltschützer auf einer Seite

Eine außergewöhnliche Wendung: Landwirte und Umweltschützer, die sonst oft unterschiedliche Interessen vertreten, ziehen hier an einem Strang. Beide Gruppen sehen in der Jagd auf Hirsche eine Notwendigkeit, um die Wälder zu schützen.

Die Landwirte klagen über Schäden an ihren Feldern, die durch die Tiere verursacht werden. Gleichzeitig verweisen Umweltschützer darauf, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wildtieren und Natur entscheidend für das Überleben der Wälder ist.

Doch ist das Töten von 2.000 Hirschen wirklich die einzige Lösung? Warum nicht alternative Ansätze ausprobieren, wie etwa die Wiederansiedlung von natürlichen Feinden wie Wölfen oder Luchsen? Diese Frage spaltet die Gemüter – auch wenn es viele als unrealistisch abtun, solche Maßnahmen in dicht besiedelten Regionen wie dem Elsass umzusetzen.


Ist die Jagd noch zeitgemäß?

Das Herzstück der Diskussion dreht sich um die Frage: Wie lässt sich die Balance zwischen Wildtierpopulationen, landwirtschaftlicher Produktion und dem Schutz der Wälder herstellen? Die traditionelle Jagd, wie sie heute praktiziert wird, gerät zunehmend in die Kritik. Kritiker werfen den Behörden vor, zu hohe Abschusszahlen zu fordern, ohne die tatsächlichen Bedingungen in den Wäldern ausreichend zu berücksichtigen.

Es gibt jedoch keine einfache Antwort. Einerseits müssen die Schäden an Wald und Landwirtschaft eingedämmt werden. Andererseits dürfen Wildtierbestände nicht ohne Rücksicht auf Verluste dezimiert werden.

Ein weiterer Punkt ist die Rolle der Jäger selbst. Sie stehen zwischen den Fronten, werden von Naturschützern kritisch beäugt und gleichzeitig von Landwirten und Förstern unter Druck gesetzt. Ein Dilemma, das sich nicht von heute auf morgen lösen lässt.


Ein Blick in die Zukunft

Wie könnte ein nachhaltiges Management der Wildtierpopulationen aussehen? Ein Ansatz wäre, die Lebensräume der Tiere genauer zu untersuchen und die Jagdstrategien anzupassen. Auch moderne Technologien könnten hier helfen: Drohnen, Wärmebildkameras oder detaillierte GPS-Tracking-Systeme könnten dabei unterstützen, die tatsächliche Anzahl der Tiere zu bestimmen und gezielte Maßnahmen zu ergreifen.

Gleichzeitig müssen wir uns fragen: Wie viel Raum wollen und können wir den Wildtieren überhaupt lassen? In einer Welt, die immer dichter besiedelt ist, ist Platz ein knappes Gut. Aber wenn wir Tieren wie Hirschen keinen Lebensraum mehr zugestehen, was sagt das über uns als Gesellschaft aus?

Die Diskussion im Elsass ist ein Spiegelbild eines globalen Problems: der schwierige Balanceakt zwischen Mensch und Natur. Es gibt keine einfachen Lösungen – aber wir sollten alles daransetzen, einen Weg zu finden, der beiden gerecht wird.


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