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Die Benin-Bronzen zählen zu den bedeutendsten Kunstschätzen Afrikas – und zu den augenfälligsten Symbolen kolonialer Plünderung. Ihre Rückgabe aus westlichen Museen an Nigeria, dem Nachfolgestaat des Königreichs Benin, galt lange als Prüfstein für eine gerechte Aufarbeitung kolonialer Unrechtsgeschichte. Doch die Realität ist komplizierter: Wer ist eigentlich der rechtmäßige Besitzer dieser Werke – der nigerianische Staat oder der König von Benin? Und wer entscheidet, wie und wo sie künftig präsentiert werden?

Ein Raubzug als Wendepunkt

Die Ursprünge der Debatte reichen zurück ins Jahr 1897. Damals führte Großbritannien eine sogenannte Strafexpedition gegen das Königreich Benin, im heutigen Südwesten Nigerias gelegen. Der Palast des Oba, des Königs, wurde geplündert, große Teile der königlichen Kunstsammlung – darunter hunderte kunstvoll gearbeitete Reliefs und Skulpturen aus Bronze und Messing – als „Kriegsbeute“ nach Europa verbracht. Die geraubten Werke fanden Eingang in Museen und Privatsammlungen in London, Berlin, Wien, Stockholm oder Boston.

Schon seit den 1930er Jahren fordert Nigeria die Rückgabe dieser Kulturgüter. Doch erst in jüngster Zeit bewegt sich etwas: Die Niederlande übergaben im Sommer 2025 insgesamt 119 Stücke an Nigeria, Deutschland hat mit Rückgaben begonnen, Schweden plant die Rückgabe von 39 Objekten bis 2026. Auch Universitäten wie Cambridge zeigen Bereitschaft zur Restitution.

Ein neuer Streit um alte Schätze

Doch die Rückgabe der Bronzen bringt neue Konflikte hervor. Im Zentrum steht dabei die Frage, wem die Stücke heute zustehen: dem nigerianischen Staat – oder dem Nachkommen des einst beraubten Königs, dem heutigen Oba Ewuare II. Denn mit der Rückgabe wurde schnell klar: Auch in Nigeria ist die Deutungshoheit über die eigene Geschichte umkämpft.

Ursprünglich war geplant, die Kunstwerke in einem neuen, hochmodernen Museum in Benin City auszustellen – entworfen von einem renommierten Architekturbüro, unterstützt durch internationale Geldgeber und Museen. Doch 2022 entschied die nigerianische Regierung, dass die Bronzen stattdessen in die Obhut des traditionellen Herrschers zurückkehren sollten. Der Oba, so die Argumentation, sei der direkte Nachfahre des einstigen Eigentümers, und damit der legitime Anspruchsberechtigte.

Für westliche Museen war das ein Dilemma. Viele wollten die Kunstwerke nicht an eine Einzelperson übergeben, sondern an eine staatliche oder öffentliche Institution. Es überwog die Sorge, dass bei einer rein privaten Aufbewahrung nicht die nötigen Standards für Sicherheit, Konservierung und wissenschaftliche Zugänglichkeit gewährleistet seien. Die Bronzen seien „Weltkulturerbe“, nicht persönliche Besitztümer, so das stillschweigende Argument.

Zwischen Misstrauen und Machtfragen

Diese Bedenken treffen jedoch in Afrika auf empfindliche historische Wunden. Viele Kommentatoren und Intellektuelle sehen in der zögerlichen Haltung der westlichen Museen eine Fortsetzung kolonialer Denkmuster: Die implizite Botschaft laute, dass afrikanische Institutionen oder Herrscher nicht vertrauenswürdig oder fähig genug seien, ihre eigene Geschichte zu verwalten. Das Missverhältnis zwischen Eigentumsrückgabe und kultureller Kontrolle steht exemplarisch für das strukturelle Erbe des Kolonialismus.

„Es ist, als wollten ehemalige Kolonialmächte nicht nur entscheiden, wann sie zurückgeben – sondern auch, wie damit umzugehen ist“, so ein oft gehörter Vorwurf. Der Versuch, Bedingungen an die Rückgabe zu knüpfen – etwa hinsichtlich Museumstechnik, Klimatisierung oder Zugänglichkeit – wird als paternalistisch empfunden.

Gleichzeitig bleibt die Lage vor Ort komplex. Derzeit sind viele der zurückgegebenen Bronzen im Königspalast untergebracht – ohne moderne Ausstellungstechnik, Sicherheitsanlagen oder wissenschaftliche Katalogisierung. Die geplante „Benin Royal Museum“, das der Oba mit internationalen Geldern bauen möchte, existiert bisher nur auf dem Papier. Auch Transparenz über den Verbleib der Objekte ist bislang begrenzt.

Rückgabe zwischen Ideal und Realität

Die Uneinigkeit darüber, wie die Rückgabe zu gestalten sei, wirft eine grundsätzliche Frage auf: Was bedeutet Restitution im 21. Jahrhundert? Geht es ausschließlich um die physische Rückgabe von Kulturgut – oder auch um die symbolische Rückgabe von Deutungshoheit und kultureller Souveränität?

In der Praxis zeigt sich: Die Restitution der Benin-Bronzen ist nicht bloß ein juristischer oder museologischer Vorgang, sondern ein politisch und kulturell aufgeladenes Ringen um Anerkennung, Autonomie und Erinnerung. Es ist ein Lackmustest dafür, ob der Westen bereit ist, nicht nur materielle Verluste zu kompensieren, sondern auch symbolisches Terrain zu räumen.

Zugleich ist die Rückgabe kein Automatismus. In vielen Museen wächst angesichts der Kontroversen die Skepsis: Ist man bereit, Verantwortung abzugeben, ohne Kontrolle über die Zukunft der Objekte zu behalten? Und wie lässt sich sicherstellen, dass Rückgaben nicht in neuen Machtkonflikten münden?

Der Oba von Benin hat inzwischen eine Vereinbarung mit der nigerianischen Regierung geschlossen, die dieser für fünf Jahre die treuhänderische Obhut über die Bronzen überträgt. Das hat den Weg für neue Rückgaben geöffnet. Doch Vertrauen – zwischen Staaten, Institutionen und Kulturen – lässt sich schwerer übergeben als Bronzen.


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Autor: P. Tiko

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