Es gibt Träume, die wachsen in uns, ohne dass wir uns je bewusst für sie entschieden hätten. Der Traum von den eigenen vier Wänden gehört dazu. Er entsteht fast lautlos – im Kinderzimmer, wenn man die Eltern über „die Rate fürs Haus“ reden hört. Beim ersten WG‑Zimmer, dessen Wände so dünn sind, dass selbst das Atmen des Nachbarn zur Begleitmusik wird. Oder beim Blick auf eine Mietrechnung, die schon wieder gestiegen ist und irgendwie trotzdem nichts am Gefühl ändert, bloß geduldet zu sein.
Doch ausgerechnet dieser Traum, der so tief verwurzelt ist wie das Bedürfnis nach Sicherheit, wird in Frankreich – und nicht nur dort – für immer mehr Menschen zum Symbol einer gnadenlosen Realität: Eigentum ist für viele kein realistisches Ziel mehr, sondern ein ferner Planet.
Und genau hier entsteht Frust. Wut. Und, ja, ein Gefühl der Ungerechtigkeit.
Wer heute kaufen will, stößt nicht gegen eine Wand. Er prallt frontal auf eine Festung.
Der Immobilienmarkt wirkt wie ein Bollwerk, das sich über Jahre verhärtet hat. Die Preise steigen, die Kredite werden knapper, die Anforderungen härter. Man könnte meinen, der Zugang zu Eigentum sei ein Privileg, das nur wenigen Auserwählten gewährt bleibt – jenen, die geerbt haben, jenen, deren Eltern schon längst im goldenen Club der Eigentümer angekommen sind.
Alle anderen?
Sie sollen sparen, warten, verzichten.
Sie sollen geduldig sein, während der Markt ihnen kalt ins Gesicht lacht.
Es klingt hart – aber wie anders soll man es nennen, wenn ein junger Haushalt mit zwei Vollzeitjobs trotzdem scheitert? Wenn eine Familie nach zehn Besichtigungen feststellt, dass sie für jedes halbwegs anständige Objekt überboten wird? Wenn ein Bankberater mit der Präzision eines Chirurgen das Leben eines Paares seziert, um festzustellen, dass das berühmte „35 %‑Limit“ überschritten ist?
Zack – Traum geplatzt.
Die emotionale Dimension ist längst unterschätzt.
Wohnen ist nicht nur eine Frage des Budgets. Es betrifft das Gefühl von Würde, von Zugehörigkeit, von Zukunft. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele Menschen heute nicht nur enttäuscht sind – sie fühlen sich regelrecht ausgeschlossen.
Nicht vom Markt.
Vom System.
Es entstehen zwei Frankreichs:
Das Frankreich der Erben – und das Frankreich der Mieter.
Zwischen beiden Welten wächst ein Graben, der sich Jahr für Jahr vertieft. Und wer behauptet, das sei übertrieben, sollte einmal mit jenen sprechen, die wirklich betroffen sind: Familien, die seit Jahren sparen und trotzdem scheitern. Singles, die gar nicht erst versuchen, einen Kredit zu bekommen. Junge Paare, die irgendwann sagen: „Wozu überhaupt noch hoffen?“
Eine Frage drängt sich auf – und sie brennt:
Wie lange hält eine Gesellschaft das aus, ohne dass die Wut überkocht?
Denn wer heute Eigentum will, muss sich durch ein Labyrinth kämpfen, das immer enger wird. Die Preise, die Kreditpolitik, das fehlende Angebot – alles zusammen erzeugt ein Gefühl der Ohnmacht, das sich anfühlt wie ein Kloß im Hals. Manche sprechen offen darüber, viele schweigen. Aber jeder, wirklich jeder, kennt jemanden, der gescheitert ist.
Dabei darf man eins nicht vergessen:
Der Wunsch nach den eigenen vier Wänden ist kein oberflächlicher Luxus. Er steht für Schutz, Stabilität, Unabhängigkeit. Für das Recht, Wurzeln zu schlagen. Für das Bedürfnis, nicht ewig in prekären Mietverhältnissen festzustecken.
Wenn dieser Wunsch unerreichbar wird, trifft das Herz einer Gesellschaft.
Und genau dort stehen wir heute.
Vielleicht wäre es an der Zeit, ehrlich zu sein:
Der Markt ist außer Kontrolle geraten.
Die Kreditpolitik erstickt Chancen.
Und die Politik hat es zugelassen, dass Eigentum für viele zum Mythos geworden ist.
Natürlich, Kompromisse sind möglich. Natürlich, Alternativen existieren. Aber das ändert nichts am grundlegenden Problem: Ein zentrales Versprechen unserer Gesellschaft löst sich auf – die Idee, dass Fleiß, Geduld und ein solider Lebensentwurf irgendwann belohnt werden.
Für viele passiert genau das nicht mehr.
Der Frust darüber ist nicht irrational. Er ist real, tief, verständlich. Und längst überfällig.
Vielleicht braucht es genau diese Wut, um Bewegung in eine Debatte zu bringen, die viel zu lange verharmlost wurde. Vielleicht müssen wir endlich aussprechen, was viele denken: Wohnen darf kein Luxusgut sein. Eigentum darf nicht zur sozialen Eintrittskarte verkommen. Und eine Gesellschaft, die ihrer jungen Generation erklärt, dass Träume unbezahlbar sind, riskiert, dass diese Generation irgendwann etwas zurückfragt:
„Warum sollen wir uns eigentlich noch anstrengen?“
Dass es anders gehen könnte, steht außer Frage. Aber dafür bräuchte es Mut – und politischen Willen. Beides wirkt derzeit genauso selten wie eine bezahlbare Drei-Zimmer-Wohnung in einer Großstadt.
Bis dahin wächst der Frust weiter.
Und der Traum?
Er zerbröselt – leise, aber unübersehbar.
Ein Kommentar von C. Hatty
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