Tag & Nacht




Es gibt Tage, die brennen sich in das kollektive Gedächtnis ein wie glühende Brandmale. Der 13. Juni 2025 ist so ein Tag. Ein Freitag, der seinem finsteren Ruf mehr als gerecht wird. Explosionen über Teheran, Todesnachrichten von hochrangigen Generälen, hundert Drohnen in Richtung Israel – und ein dumpfes Gefühl der Ohnmacht, das sich tief ins Herz frisst.

Und während wir alle den Atem anhalten, während Familien in Schutzräumen kauern und Menschen in Panik fliehen, stellt sich eine bittere Frage: War das wirklich Notwehr? Oder ist es der Beginn einer weiteren gefährlichen Rechtfertigungs-Spirale, in der jedes Leid mit dem Leid des anderen entschuldigt wird?

Der zynische Deckmantel der „Notwehr“

„Notwehr“ – so nennt Israel seine Angriffe auf iranische Atomanlagen und Militäreinrichtungen. Klingt gut. Klingt legitim. Klingt nach sauberem Gewissen. Doch wie sauber ist ein Gewissen, wenn man gezielt auf Menschen schießt, wohlwissend, dass die Antwort eine Welle der Gewalt auslösen wird?

Man muss nicht Iran-Versteher sein, um zu erkennen, dass dieser Angriff keine defensive Maßnahme war, sondern ein Akt der Provokation. Ein Schritt, der die Region erneut ins Chaos stürzt. Und das alles in einem historischen Moment, in dem ein Hauch von Dialog zwischen Washington und Teheran möglich schien.

Ein Tanz auf dem Pulverfass

Man fragt sich: Ist es Mut, mit dem man ein solches Inferno entfesselt? Oder ist es Wahnsinn? In einer Region, die seit Jahrzehnten im Würgegriff religiöser, geopolitischer und ethnischer Konflikte steckt, wirkt ein derartiger Präventivschlag wie ein brennender Funke über einem Meer aus Benzin.

Und was folgt? Rache. Drohungen. Noch mehr Tote. Noch mehr Kinder, die nachts nicht schlafen können, weil die Sirenen heulen. Noch mehr Menschen, die ihre Liebsten begraben müssen. Das ist kein Konflikt mehr – das ist ein blutiger Kreislauf der (Selbst)-Zerstörung, in dem Recht zu Rhetorik verkommt und Menschlichkeit auf der Strecke bleibt.

Wer schützt hier eigentlich wen?

Israel hat ein Recht auf Sicherheit, ohne Frage. Aber hat der Iran nicht auch das Recht, sich gegen wiederholte Verletzungen seiner Souveränität zu wehren? Wann haben wir eigentlich angefangen, mit zweierlei Maß zu messen? Warum gelten für einige Länder andere Regeln als für den Rest der Welt?

Es ist diese Doppelmoral, die das internationale Vertrauen untergräbt. Die UNO schweigt, Europa duckt sich weg, und die USA balancieren auf einem diplomatischen Seil zwischen Interessen und Verantwortung. Und währenddessen leiden die Menschen – auf beiden Seiten.

Wer profitiert?

Vielleicht sollte man sich diese Frage viel öfter stellen. Wer profitiert von einem weiteren Flächenbrand im Nahen Osten? Waffenlobbyisten? Autokraten, die im Schatten der Angst ihre Macht festigen? Oder gar jene, die sich stets als Verteidiger des Friedens inszenieren, aber jedes Mal die erste Rakete abfeuern?

Der Krieg, so sagte einst der Schriftsteller Erich Maria Remarque, ist kein Abenteuer. Er ist eine Krankheit. Eine Seuche. Und wer heute jubelt, weil der Feind getroffen wurde, könnte schon morgen um sein eigenes Kind weinen.

Und wir?

Wir stehen fassungslos da, lesen die Schlagzeilen, scrollen durch Bilder von Trümmern und weinenden Müttern. Vielleicht mit einem Kloß im Hals, vielleicht mit Wut, vielleicht mit Zynismus. Doch eines darf uns nie verloren gehen: das Mitgefühl – für alle, die in diesem irrsinnigen Spiel der Mächtigen zum Spielball werden.

Freitag, der 13. Juni 2025, war kein Tag der Notwehr.

Er war ein Tag, an dem die Menschlichkeit einen weiteren Kratzer abbekam.

Ein Kommentar von Andreas M. Brucker

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