Man reibt sich die Augen. Der Mann, der die Sicherheit der Republik garantieren soll, der die Autorität des Staates nach außen wie nach innen verkörpert – dieser Mann, Bruno Retailleau, greift den Präsidenten der Republik frontal an. Nicht hinter verschlossenen Türen. Nicht in einem internen Arbeitskreis. Nein, öffentlich, laut, demonstrativ. Das ist kein politischer Diskurs mehr – das ist Sabotage im Ministerrang.
Retailleau sagt, der Macronismus sei „keine Ideologie“, sondern eine „leere Hülle um einen Mann“. Er nennt die Linie des Präsidenten „verantwortungslos“, spricht von „Staatsversagen“ und „Impotenz“. Und all das als Mitglied jener Regierung, die er zugleich diskreditiert? Man fragt sich: Wo bleibt der Respekt vor dem Amt? Wo die politische Hygiene? Wo, bitte schön, der Anstand?
Der Innenminister Frankreichs ist nicht irgendein Minister. Er ist der Hüter der öffentlichen Ordnung, der Garant für Stabilität und Verlässlichkeit in einer Zeit multipler Krisen – von der Sicherheitslage bis zur gesellschaftlichen Fragmentierung. Wer dieses Amt bekleidet, trägt eine besondere Verantwortung: Loyalität gegenüber dem republikanischen Gefüge. Was Retailleau aber tut, ist das Gegenteil – eine politisch inszenierte Selbstvermarktung auf dem Rücken der Institutionen.
Man mag Emmanuel Macron kritisch sehen. Man darf sogar seine Politik ablehnen. Aber wer in einem Kabinett sitzt, das vom Präsidenten getragen wird, und gleichzeitig dessen politisches Fundament angreift, der betreibt nichts anderes als moralischen Vertragsbruch. Retailleau will den Kuchen essen und doch behalten: Regierungsmacht genießen und Opposition spielen. Das ist nicht couragiert, das ist schäbig.
Und man muss es so deutlich sagen: Wer so agiert, schwächt nicht nur den Präsidenten, sondern das Vertrauen in den Staat. Wer das Gefühl vermittelt, die Regierung sei ein zerstrittener Haufen, in dem jeder seine eigene Agenda verfolgt, der bereitet den Boden – für Radikale, für Populisten, für die totale Politikverdrossenheit. Und genau das kann sich Frankreich im Moment am allerwenigsten leisten.
Herr Retailleau, Sie wollen Präsident werden? Dann treten Sie zurück und führen Ihren Wahlkampf ganz offen. Haben Sie den Mut zur Klarheit. Aber hören Sie auf, den Staat von innen auszuhöhlen, während Sie sich von außen als moralische Autorität inszenieren. Das ist nicht staatsmännisch – das ist brandgefährlich.
Frankreich braucht keine Minister mit doppeltem Spiel. Frankreich braucht Rückgrat. Und Ehrlichkeit.
Ein Kommentar von Andreas M. Brucker
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