Tag & Nacht


Was ist mutiger: mitten in der Inflationskrise die Steuerlast von Millionen Haushalten zu erhöhen – oder so zu tun, als hätte man es gar nicht so gemeint?

Frankreichs Regierung scheint sich für Letzteres entschieden zu haben. Erst der große Auftritt: Eine neue Berechnungsgrundlage für die taxe foncière, die den „Komfort“ moderner Wohnungen berücksichtigt. Wer fließendes Wasser, eine Heizung und – oh là là – gar ein Badezimmer besitzt, soll künftig tiefer in die Tasche greifen. Ein Fortschritt! Eine Modernisierung! Eine Gerechtigkeitsoffensive! So klang es jedenfalls in den Pressestatements aus dem Finanzministerium.

Und dann?

Ein paar Schlagzeilen später: Rückzug. Der Minister des Wohnens, Vincent Jeanbrun, gibt sich ganz demütig: Man habe da „eine Bereitschaft“ zur Aussetzung. Eine Konsultation solle nun folgen, man wolle „alle Beteiligten einbinden“. Sprich: Man hat gemerkt, dass der Schuss nach hinten losging – und sucht jetzt hektisch ein Pflaster für die offenen Wunden.

Willkommen in der politischen Parallelwelt, in der Reformen erst verkündet und dann durch Umfragen korrigiert werden. In der man einen Aufschrei erst provozieren muss, um herauszufinden, dass er unangenehm laut sein kann.

Dabei war die Rechnung doch so einfach: 7,4 Millionen betroffene Haushalte mal durchschnittlich 63 Euro – da kommt was zusammen. Nur leider auch eine Menge Wut. Kommunalpolitiker liefen Sturm, Verbände schäumten, selbst aus den eigenen Reihen kamen Proteste. Die „bombe fiscale“, wie sie liebevoll genannt wurde, explodierte nicht im Haushalt, sondern mitten im Vertrauen der Bürger.

Was den Rückzieher so bitter macht: Es geht hier nicht um eine winzige Verwaltungsentscheidung, sondern um ein Grundgefühl – das Gefühl, dass Politik zunehmend willkürlich, sprunghaft, reaktiv agiert. Heute Hü, morgen Hott. Wie beim Kinderreiten, nur dass niemand mehr weiß, wer eigentlich die Zügel in der Hand hält.

Die Steuerreform sollte ein „Update“ der Bewertungsgrundlagen sein. Klingt technisch – war aber emotional ein Desaster. Denn wer gerade seine Energierechnung nicht mehr bezahlen kann, hört beim Wort „Komfortzuschlag“ eher keine Musik. Da klingt es eher nach Hohn.

Noch bizarrer: Der zuständige Minister zeigte sich von der Maßnahme überrascht – als hätte ein Praktikant über Nacht die Steuerpolitik geändert und vergessen, es dem Chef zu sagen. „Ich war überrascht“, sagte Jeanbrun. Wer überrascht ist, hat offenbar nicht mitentschieden. Oder nicht aufgepasst. Beides keine Optionen, die Vertrauen wecken.

Jetzt also die Notbremse: eine „Konsultation flash“, blitzschnell vor dem nächsten Haushaltsvotum. Man will beraten, nachdenken, abstimmen. Kurzum: all das tun, was man auch hätte machen können, bevor man 7,4 Millionen Menschen in Aufruhr versetzt.

Ist das ein Einzelfall? Natürlich nicht.

Es reiht sich ein in eine ganze Kollektion französischer Reformgeisterfahrten: Renten, Arbeitsrecht, Wohnungsbau – überall wurde mal mutig vorgeprescht, nur um dann hektisch zurückzurudern, sobald die Umfragewerte zu kippen drohten. Als ob man Politik am Meinungsbarometer ausrichtet – statt am Kompass der Vernunft.

Vielleicht sollte man einfach ehrlicher sein. Statt von „Modernisierung“ zu sprechen, könnte man sagen: Wir brauchen Geld. Statt auf „Komfort“ zu verweisen, könnte man zugeben: Wir wissen nicht mehr, wo wir sparen sollen. Und statt hektischer Rückzüge könnte man – ganz gewagt – mal mit den Bürgern sprechen, bevor man sie zur Kasse bittet.

Bis dahin bleibt nur Sarkasmus als Selbstschutz.

Denn wer bei jeder Steuerreform sofort wieder den Rückwärtsgang einlegt, darf sich nicht wundern, wenn bald keiner mehr mitfährt.

Von C. Hatty

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