Tag & Nacht




Frankreich, das sich gern als Hüterin der Meere aufspielt, trägt ein schimmerndes Gewand aus Sonntagsreden, ambitionierten Zielen und internationalen Initiativen – doch dahinter brodelt ein Abgrund voller Widersprüche. Ja, Frankreich besitzt die zweitgrößte Wirtschaftszone im Meer weltweit. Und ja, es ist Mitgastgeber der UN-Ozeankonferenz in Nizza. Aber ist das genug, um sich selbstgefällig auf die Schulter zu klopfen?

Denn die Wahrheit sieht anders aus. Beängstigend anders.

Während Präsident Macron und seine Minister auf den Weltmeeren glänzen wollen, sieht es in französischen Gewässern düster aus. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache – und sie schreien geradezu nach Ehrlichkeit: 33 % der Meeresflächen gelten als „geschützt“, doch was bedeutet das konkret? Ganze 0,03 % unterliegen einer tatsächlichen, strikten Schutzregelung. Der Rest? Ein schlechter Scherz. In 98 % dieser sogenannten Schutzgebiete wird nach wie vor mit Grundschleppnetzen gefischt – einer der zerstörerischsten Methoden überhaupt. Wie bitte soll das „Schutz“ sein?

Ein Paradoxon, das jeden Meeresschützer zur Verzweiflung treiben muss.

Diese Diskrepanz ist kein Betriebsunfall, sie ist System. Denn Frankreich wählt lieber den bequemen Weg der symbolischen Politik, statt ernsthaft durchzugreifen. Warum? Die Antwort ist unbequem, aber glasklar: Die politische Führung traut sich nicht, den Konflikt mit der Fischereilobby wirklich auszutragen. Und so sitzt man zwischen den Stühlen – oder besser gesagt: lässt die Meere weiter sterben, um Wählerstimmen an der Küste nicht zu verlieren.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich dürfen wir die Sorgen der Fischer nicht ignorieren. Wer wie Laurent Mevel in Saint-Malo täglich auf See ist, hat ein Recht auf Gehör. Doch genau das wäre ja möglich – mit echten Hilfsprogrammen, nachhaltiger Umstellung, regionalen Partnerschaften. Stattdessen? Wird mit Placebos operiert. Und das Meer bezahlt den Preis.

Doch es gibt sie, die kleinen Lichtblicke. Frankreich beteiligt sich am Moratorium gegen Tiefseebergbau, schützt Küstenökosysteme im Rahmen der „blauen Kohlenstoff“-Initiative. Auch lokale Initiativen, etwa zur Rettung der Korallenriffe in der Mittelmeerregion, zeigen: Es gibt Menschen, die es ernst meinen. Menschen, die nicht nur reden – sondern handeln.

Aber reicht das?

Frankreich spielt international die Umwelthüterin und duldet zugleich zerstörerische Praktiken vor der eigenen Haustür. Das ist nicht bloß inkonsequent – es ist zynisch. Was bringt ein feierlich unterzeichneter Vertrag auf UN-Ebene, wenn in der Bretagne weiterhin der Meeresboden aufgerissen wird wie ein Acker?

Und genau hier müssen wir uns alle fragen: Wollen wir wirklich eine Zukunft, in der Schutzgebiete nur auf dem Papier existieren? In der politische Rhetorik das Einzige ist, was blubbert, während das Leben unter Wasser verstummt?

Frankreich muss endlich liefern – und zwar nicht in Pressemitteilungen, sondern in Taten. Es braucht einen radikalen Kurswechsel: Verbindliche Schutzmaßnahmen. Verbot der Grundschleppnetzfischerei. Finanzielle Hilfen für kleine Fischer, die umstellen wollen. Und eine echte Kontrolle der Schutzgebiete, damit sie diesen Namen auch verdienen.

Denn die Meere brauchen nicht noch mehr Reden – sie brauchen eine Revolution des Handelns.

Ein Kommentar von Andreas M. Brucker

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