Charleville-Mézières brennt. Mal wieder. Und wie so oft fragt keiner mehr, warum.
Autos in Flammen. Böller gegen Polizisten. Ein Bürgermeister, der sich in ein Einsatzfahrzeug retten muss, weil ein Feuerwerkskörper ihn fast trifft – was für eine Farce. Und was für ein Symbolbild. Einerseits ein gewählter Vertreter, der sich für Sicherheit starkmacht. Andererseits Jugendliche, die ihn zur Zielscheibe erklären. Dazwischen: Betonblöcke, Polizei, Ratlosigkeit. Und ganz viel Wut.
Man könnte jetzt leicht sagen: Die da unten, die kennen halt keinen Anstand mehr. Kriminelle, gewaltbereit, integrationsunwillig. Am besten: Wasserwerfer, Tränengas, Ausgangssperre – fertig. Und doch… irgendwas stimmt an diesem Bild nicht. Irgendetwas stinkt gewaltig – und nicht nur wegen der brennenden Mülltonnen.
Denn ganz ehrlich: Wer feuert denn bitte auf einen Bürgermeister, weil ein Drogenlokal geschlossen wird? Was muss da in einem Menschen brodeln, damit er sich so verhält? Die einfache Antwort – „weil er kriminell ist“ – ist zu billig. Das ist wie bei einem Fieber zu sagen: „Der Körper ist einfach schlecht.“ Nein. Da steckt mehr dahinter. Ein Infekt. Ein Schmerz. Eine Enttäuschung.
La Houillère, Ronde-Couture – man kennt die Namen mittlerweile. Als Orte der Wut, der Gewalt, der Perspektivlosigkeit. Seit Jahren hört man dieselben Geschichten: Armut, Stigmatisierung, Vernachlässigung. Und ja, auch Drogendealer, organisierte Kriminalität, Parallelstrukturen. Aber was kam zuerst – das Elend oder der Dealer?
Wenn der Staat jahrzehntelang wegsieht, nur das Nötigste tut, keine Chancen bietet, keine Hoffnung sät – darf er sich dann wundern, wenn er irgendwann nur noch Verachtung erntet?
Der Bürgermeister von Charleville-Mézières sagt, er wolle „Sicherheit und Ruhe“ zurückbringen. Klingt vernünftig. Aber wie soll das gehen – mit Betonklötzen und Blaulicht allein? Mit Drohgebärden gegen Jugendliche, die sich längst abgewendet haben? Mit Symbolpolitik, die ein Café zubetoniert, während das Vertrauen in Behörden schon lange zerbröselt ist?
Es ist leicht, über Gewalt zu urteilen, wenn man in einem ruhigen Viertel wohnt, einen Job hat, ein Netzwerk, ein Ziel. Aber wie fühlt es sich an, wenn man nie dazugehört hat? Wenn die Polizei einen nicht schützt, sondern kontrolliert? Wenn die Schule keine Zukunft bringt, sondern nur Frust? Wenn jeder Blick, jedes Gespräch, jeder Besuch im Amt einem klar macht: Du bist hier nicht willkommen?
Das entschuldigt keine Gewalt. Keine Angriffe. Keine Zerstörung. Aber es erklärt sie.
Vielleicht ist das die unangenehmste Wahrheit in diesem Drama: Dass wir die Probleme nicht wegbetonieren können. Dass Repression allein nichts heilt, sondern höchstens die Symptome zudeckt. Wie ein Pflaster auf eine eiternde Wunde.
Gibt es denn gar keine andere Möglichkeit, als Gewalt und Gegengewalt?
Doch, die gibt es. Aber sie ist unbequem. Sie braucht Zeit, Geld, Ausdauer, Geduld. Sie heißt: zuhören. Investieren. Schulen stärken. Arbeit schaffen. Würde zurückgeben. Und: endlich aufhören, Menschen in unseren Städten wie Fehler zu behandeln, die man korrigieren muss.
Sicherheit ist nicht nur eine Frage der Polizeipräsenz. Sie ist auch eine Frage der Gerechtigkeit.
Solange wir das nicht begreifen – solange wird Charleville-Mézières nicht die letzte Stadt sein, die brennt.
Von C. Hatty
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