Da liegt er. In Jeans, Hoodie und Nike-Schuhen. Kein Heiligenschein, kein Weihrauch, keine Orgelmusik. Nur ein toter Junge in einem Glaskasten – und Millionen, die in ihm Hoffnung sehen. Hoffnung auf eine Kirche, die noch lebt. Oder besser: wieder lebt.
Carlo Acutis ist keine Marienerscheinung. Er ist keine Statue, keine Reliquie, keine Predigt. Er ist – oder war – einer von uns. Und genau das macht seine Heiligsprechung zu einer kleinen Revolution im maroden System Kirche. Denn das, was da in Assisi gefeiert wird, ist mehr als ein religiöses Event. Es ist ein unüberhörbarer Schrei: „Wir sind noch da! Und wir sehen euch!“
Die katholische Kirche, so oft abgeschrieben, verspottet, verlassen – sie atmet wieder. Nicht durch Dogmen, nicht durch Machtworte aus Rom. Sondern durch einen 15-jährigen Nerd, der Websites gebaut hat, bevor viele in der Kirche von WLAN gehört hatten. Ein Junge, der wusste, wie man Menschen erreicht – weil er nie aufgehört hat, sie zu lieben.
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ein Teenager, der Pokémon mochte und mit Freunden zockte, zum Gesicht einer neuen katholischen Bewegung wird?
Eine Bewegung, die sich nicht nach Weihrauch sehnt, sondern nach Wahrhaftigkeit.
Und jetzt kommt der unangenehme Teil: Diese neue Hoffnung liegt nicht in der Liturgie. Sie liegt nicht in prunkvollen Messen, nicht in Latein, nicht im goldenen Kelch. Sondern in der Erkenntnis, dass der Glaube nichts Exklusives ist. Dass man nicht Theologie studieren muss, um das Evangelium zu leben. Dass man keine Soutane tragen muss, um Christus nahe zu sein.
Ja, das tut weh.
Vor allem jenen, die jahrzehntelang versucht haben, den Heiligenschein exklusiv zu verwalten.
Doch vielleicht ist es genau diese Demontage des Sakralen, die jetzt gebraucht wird. Carlo zeigt: Die Tür zum Himmel steht nicht nur für Märtyrer offen, sondern auch für Schüler, Gamer, Außenseiter. Für ganz normale Leute mit WLAN und Herz.
Ob das reicht, um die Kirche zu retten?
Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber es ist ein Anfang.
Denn solange es Jugendliche gibt, die sich in Carlo wiederfinden – und nicht in alten Männern, die Schuld und Scham predigen –, gibt es Hoffnung. Solange Menschen auf YouTube beten, weil sie keinen Zugang zu einer Gemeinde haben, lebt etwas, das größer ist als Institutionen.
Das nennt man Glauben.
Und vielleicht ist das die wahre Botschaft dieses neuen Heiligen: Man braucht keine makellose Vergangenheit, keine perfekte Frömmigkeit, keine jahrhundertealte Ahnenreihe von Priestern. Man braucht nur ein Herz, das liebt – und den Mut, es sichtbar zu machen.
Vielleicht, ja vielleicht, gibt es für diese Kirche doch noch eine Zukunft.
Aber nur, wenn sie aufhört, sich selbst zu feiern – und endlich wieder den Menschen dient.
Von C. Hatty
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