Es gibt Sätze, die brennen sich ein. Einen dieser Sätze hörte ich von einer 16-jährigen Aktivistin während eines Klima-Protests in Hamburg:
„Wir haben keine Kindheit, wir haben ein Ultimatum.“
Diese Worte sind mehr als ein Schrei. Sie sind ein Spiegel. Einer, in dem wir alle das brennende Haus sehen, das wir unser Zuhause nennen – die Erde. Und in dem die, die am wenigsten dafür können, schon jetzt am meisten tragen müssen.
Geboren in der Krise – aufgewachsen im Alarmzustand
Für viele Jugendliche ist der Klimawandel kein abstraktes Konzept, sondern das ständige Hintergrundrauschen ihrer jungen Biografie. Waldbrände in Kanada, Überschwemmungen in Pakistan, Dürresommer in Frankreich und Deutschland – all das ist kein Stoff für Nachrichten am Rande. Es ist Alltag.
Ein 18-Jähriger heute hat in seinem jungen Leben bereits mehr Hitzerekorde, mehr CO₂-Kurven und mehr politische Versprechen ohne Handeln erlebt, als viele seiner Eltern in all den Jahren bis zu seiner Geburt. Wie fühlt sich das an, wenn das Morgen unsicherer wirkt als das Gestern? Wenn jede Klassenfahrt gefühlt die letzte ins Grüne sein könnte?
Die Klimakrise schreibt sich ein – in die Träume, in die Entscheidungen, in die Psyche. Klimawandel ist längst auch eine Frage der seelischen Gesundheit. Der Begriff „Eco-Anxiety“ ist keine modische Erfindung. Es ist das stille Zittern einer Generation, die zwischen Aktivismus und Ohnmacht pendelt.
Hoffnung ist keine naive Sehnsucht
Trotzdem – oder gerade deshalb – ist es die Jugend, die Hoffnung in Bewegung übersetzt. Fridays for Future war keine Laune, es war und ist ein Weckruf. Während viele Entscheidungsträger noch zwischen Konferenzen und Kompromissen schaukeln, setzen junge Menschen ihre Freizeit, ihre Stimmen, ihren Mut ein.
Sie fordern nicht nur Veränderung. Sie leben sie. In der Ernährung. In der Mobilität. In der Art, wie sie Wirtschaft, Bildung und Zusammenleben denken. Sie tragen die Last – aber sie tragen auch die Vision.
Und doch: Können und dürfen wir ihnen das zumuten?
Wer trägt hier eigentlich die Verantwortung?
Natürlich ist es bequem, wenn man Jugendlichen zuhört und sich dabei selbst als „offen für neue Ideen“ inszeniert. Aber Hand aufs Herz – was hilft es, wenn wir sie auf Bühnen holen, aber nicht an die Hebel der Macht?
Klimaschutz darf kein Schulprojekt sein. Es ist keine Extrastunde am Freitag. Es ist das Fundament, auf dem alles andere steht. Und wenn wir als Gesellschaft die Stimmen der Jugend feiern, ohne ihnen echte Gestaltungsmöglichkeiten zu geben – dann machen wir aus Hoffnung einen PR-Stunt.
Es geht um mehr als CO₂
Diese Generation fragt nicht nur: „Wie retten wir das Klima?“
Sie fragt: „Was für eine Gesellschaft wollen wir sein?“
Eine, die weiter auf Kosten anderer lebt? Oder eine, die fair, nachhaltig und zukunftstauglich handelt?
Die Klimakrise ist kein reines Umweltproblem. Sie ist ein Brennglas für soziale Ungleichheit, für koloniale Altlasten, für das Versagen politischer Strukturen. Wenn Jugendliche sich für Klimagerechtigkeit einsetzen, dann fordern sie auch: Bildung für alle, gleiche Chancen, faire Teilhabe. Sie verbinden Ökologie mit Empathie.
Und das ist – ehrlich gesagt – mehr als die allermeisten Regierungen in ihren Strategien hinkriegen.
Wir dürfen diese Generation nicht enttäuschen
Denn sie glaubt noch. Sie glaubt an Veränderung – trotz allem. Und dieser Glaube ist ein kostbares Gut. Wir dürfen ihn nicht durch Ignoranz, durch Lethargie, durch leere Versprechen zertrampeln.
Wer heute jung ist, wird mit den Folgen unserer Entscheidungen leben – oder unter ihnen leiden.
Deshalb ist dieser Moment mehr als ein ökologischer Kipppunkt. Er ist auch ein moralischer.
Stehen wir an der Seite dieser Jugendlichen? Oder überlassen wir ihnen ein System, das sie weiter ausbremst?
Ein persönlicher Gedanke zum Schluss
Ich schreibe diesen Text mit einem Kloß im Hals. Nicht aus Angst – aus Scham. Weil ich selbst Teil einer Generation bin, die zu lange gezögert hat. Und gleichzeitig spüre ich eine riesige Dankbarkeit. Für all die jungen Menschen, die trotz allem aufstehen. Die sich kümmern, weil andere es nicht tun.
Sie sind keine verlorene Generation. Sie sind die Generation, die uns zeigt, wie man nicht verliert.
Ein Kommentar von Andreas M. Brucker
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