Tag & Nacht




Frankreich, du stolzes Land der Menschenrechte – wo bist du nur gelandet?

Während ausländische Investoren sich wie ausgehungerte Haie auf die französische Wirtschaft stürzen und Milliarden in Immobilien, Tech-Firmen und Großkonzerne pumpen, sterben Menschen im Schatten glänzender Fassaden. 855 Obdachlose – Männer, Frauen, manchmal sogar Kinder – sind 2024 auf französischen Straßen gestorben. Erfroren. Verhungert. Vergessen. Ist das der Preis des Fortschritts?

Es klingt wie ein schlechter Witz, wenn man hört, dass Frankreich eines der attraktivsten Länder für globale Investoren ist. Dass auf Hochglanzkonferenzen in Paris Deals in Milliardenhöhe abgewickelt werden. Dass Investmentfonds mit Goldgriffeln die Zukunft ganzer Städte neu skizzieren. Aber wo bleibt da das Herz? Wo ist der Mensch?

Denn was nützt die neueste Tech-Innovation, wenn direkt vor dem schicken Bürokomplex ein Mann im Schlafsack seine letzte Nacht verbringt? Was bringt ein Luxus-Wohnbauprojekt, wenn gleichzeitig Sozialwohnungen abgerissen und die Mieten ins Unermessliche getrieben werden? Die Wahrheit tut weh – und genau deshalb muss sie ausgesprochen werden.

Der französische Staat gibt sich gerne als Hüter sozialer Gerechtigkeit. Macron spricht von Verantwortung und Chancengleichheit. Doch die nackten Zahlen schreien etwas anderes: Fast jeden Tag stirbt in Frankreich ein Obdachloser, oder sogar mehrere. Nicht irgendwo in einer abgelegenen Provinz, sondern inmitten unserer Städte. Zwischen Boulangerie und Bistro. Unter Brücken, in Parks, auf Bürgersteigen. Und das, während im selben Moment irgendwo ein Investor einen neuen Hotelkomplex finanziert – natürlich mit Steuervorteilen.

Warum kriegt ein Konzern Millionen an Subventionen, während ehrenamtliche Hilfsorganisationen um jede Spende kämpfen müssen?

Natürlich – Investitionen sind wichtig. Ohne sie gäbe es keinen wirtschaftlichen Aufschwung. Arbeitsplätze entstehen nicht aus dem Nichts. Doch die Prioritäten sind aus dem Lot geraten. Was bringt ein Bruttoinlandsprodukt auf Rekordniveau, wenn wir es nicht schaffen, den Ärmsten ein sicheres Dach über dem Kopf zu bieten? Ist das noch Fortschritt oder nur noch blanker Zynismus?

Vielleicht liegt das Problem auch in der Art, wie wir Armut sehen. Als peinliches Randphänomen. Als „individuelles Versagen“ – so sagen es die Kaltherzigen. Doch wer mal ehrlich hinhört, wer mit Obdachlosen spricht, merkt schnell: Hier geht es nicht um Faulheit. Es geht um zerbrochene Biografien, um Gewalt, Krankheit, Verlust. Und ja, oft um ein System, das lieber wegsieht, als hinzuhören.

Frankreich müsste längst ein radikales Umdenken vollzogen haben. Doch stattdessen wird an Symptomen herumgedoktert, während das Grundproblem weiter wächst – wie ein Tumor im sozialen Körper. Warum gibt es keine nationale Taskforce zur Beendigung der Obdachlosigkeit? Warum keine Verpflichtung für Großinvestoren, einen sozialen Ausgleich zu schaffen?

Stattdessen gibt’s warme Worte, PR-Kampagnen und ein paar Suppenküchen. Doch das ändert nichts daran, dass auch heute Nacht wieder Menschen unter freiem Himmel schlafen – vielleicht zum letzten Mal.

Ist das die Gesellschaft, in der wir leben wollen?

Wer jetzt mit Schulterzucken reagiert, dem sei gesagt: Armut ist ansteckend. Sie beginnt leise, kriecht durch Risse in der Gesellschaft und frisst sich langsam in die Mitte. Wer heute ignoriert, dass 855 Menschen auf den Straßen gestorben sind, der sollte sich nicht wundern, wenn morgen der soziale Frieden in sich zusammenbricht.

Wir brauchen nicht nur weitere Hochglanzprospekte für ausländische Investoren.

Wir brauchen Wohnungen. Menschlichkeit. Und eine Politik, die sich traut, das Offensichtliche zu sehen – und endlich zu handeln.

Ein Kommentar von C. Hatty

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