Tag & Nacht




Manchmal fehlen einem die Worte. Und dann kommen sie mit voller Wucht zurück – in Form von Wut, Trauer und Entschlossenheit. Was sich am 19. Juni 2025 in der französischen Nationalversammlung abgespielt hat, ist kein politischer Betriebsunfall. Es ist ein moralischer Offenbarungseid. Und ja, ich sage es so deutlich: Das Moratorium für Wind- und Solarprojekte ist skrupellos.

Wer heute, in einer Zeit eskalierender Hitzewellen, überfluteter Dörfer, brennender Wälder und globaler Kipppunkte, den Ausbau erneuerbarer Energien blockiert – der verrät nicht nur das Klima. Der verrät die Zukunft unserer Kinder.

Und nein, das ist keine Übertreibung.

Die Maske ist gefallen

Diese Abstimmung war kein Akt der Vernunft. Kein wohlüberlegter Schritt zur Optimierung des Energiemixes. Das war eiskaltes Kalkül. Machtpolitik auf Kosten von Wissenschaft, Vernunft – und Moral.

Jérôme Nury von den Republikanern reichte den Antrag ein, aber gefeiert wurde er vom Rassemblement National. Der gleichen Partei, die Klimaschutz als „ideologische Bevormundung“ diffamiert. Die gleiche politische Kraft, die seit Jahren Fakten relativiert und Ängste instrumentalisiert. Jetzt hat sie einen ihrer großen Träume verwirklicht: Den Ausbau der Erneuerbaren stoppen. Aus purer Ideologie.

Ist das noch konservativ – oder einfach nur destruktiv?

Eine Schande für das Land der Aufklärung

Frankreich war einst ein Leuchtturm rationalen Denkens, der Wissenschaft und der Aufklärung. Heute sitzt eine Mehrheit im Parlament, die den wissenschaftlichen Konsens ignoriert, als wäre er eine lästige Fußnote.

Und das in einem Moment, wo wir endlich ins Handeln kommen müssten. Wo wir jeden Windpark, jedes Solarfeld brauchen wie die Luft zum Atmen. Und was macht diese Rechte? Sie stoppt den Fortschritt. Sie sabotiert absichtlich unsere gemeinsame Anstrengung, die Welt bewohnbar zu halten.

Wirklich jetzt? Ist das der Preis für Stimmen am rechten Rand?

Die Abwesenden tragen Mitschuld

Mindestens genauso erschütternd: Die vielen Abgeordneten aus der Mitte und von links, die bei dieser Abstimmung nicht einmal anwesend waren. Wo wart ihr, als über unsere Zukunft entschieden wurde? Hattet ihr was Wichtigeres zu tun, als gegen den Klimaverrat zu stimmen?

Es ist eine bittere Ironie, dass die lautesten Verfechter einer „verantwortungsvollen Politik“ genau dann schweigen, wenn Verantwortung am nötigsten ist.

Für wen arbeiten diese Leute eigentlich?

Für die Windkraftgegner in den Villenvierteln? Für die Öl-Lobbyisten in den Hinterzimmern? Sicher nicht für die Landwirtin in der Provence, die unter der Dürre leidet. Nicht für den Azubi im Solartechnikbetrieb, dessen Job jetzt auf der Kippe steht. Nicht für die Schülerin, die Freitags demonstriert, weil sie ihre Zukunft nicht herschenken will.

Was muss noch passieren? Müssen erst noch mehr Menschen auf dieser Welt verdursten, verhungern oder in den Flammen sterben, damit klar wird, wie ernst es ist?

Ich bin wütend. Und ich bin nicht allein.

Denn dieser Beschluss hat vielen Menschen ins Gesicht geschlagen – Wissenschaftler:innen, Klimaschützer, Familien, Gewerkschaften, Unternehmer, Jugendliche. Sie alle wurden verraten. Und ihre und unsere Stimme muss jetzt lauter werden.

Wir dürfen dieses Spiel nicht mitspielen. Kein „Abwarten“. Kein „Vielleicht wird’s nicht so schlimm“. Doch, es wird schlimm. Wenn wir nicht handeln – jetzt. Wenn wir diese Politik der Ignoranz nicht laut und deutlich anklagen.

Unsere Reaktion entscheidet, was bleibt

Ja, dieser Moment ist düster. Und ja, er lässt Zweifel aufkommen, ob wir diesen Kampf gewinnen können. Aber ich glaube daran: Menschen, die für etwas brennen – für Gerechtigkeit, für die Erde, für eine gute Zukunft – sind stärker als jede rückwärtsgewandte Ideologie.

Also stehen wir auf. Sprechen wir darüber. Fordern wir die Abgeordneten heraus, die da gestern ihre Verantwortung abgelegt haben. Machen wir diesen Skandal öffentlich – bis er nicht mehr ignoriert werden kann.

Denn wer in dieser Zeit ein Moratorium auf Wind und Sonne erlässt, hat jedes moralische Recht verwirkt, sich „verantwortlicher Politiker“ zu nennen.

Ein Kommentar von Andreas M. Brucker

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