Es beginnt wie ein moderner Witz, endet aber leider nicht mit einer Pointe. Irgendwo auf Facebook läuft ein Video, eine seriös blickende Journalistin verkündet mit geübter Dramatik den Staatsstreich in Frankreich. Panzer, Machtübernahme, ein Colonel gegen Emmanuel Macron, Paris im Ausnahmezustand. Das kleine Problem: Nichts davon hat stattgefunden. Gar nichts. Kein Putsch, kein Colonel, kein Umsturz. Nur eine Idee, ein Prompt, ein Klick – und Millionen Menschen, die zuschauen.
Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so unerquicklich wäre. Denn diese „Journalistin“ existiert genauso wenig wie der Putsch selbst. Sie ist ein digitales Phantom, erzeugt von künstlicher Intelligenz, erdacht von einem Mann aus Burkina Faso, der sich als Lernender und zugleich als Ausbilder in Sachen KI versteht. Ein Mann, der später beteuert, er habe es „nicht böse gemeint“. Das ist jener Satz, der inzwischen zuverlässig immer dann fällt, wenn der Schaden bereits angerichtet ist.
Die Geschichte liest sich wie eine Gebrauchsanweisung für das postfaktische Zeitalter. Der französische Präsident selbst wird darauf aufmerksam, weil ein afrikanischer Amtskollege besorgt nachfragt, ob in Frankreich gerade die Republik zusammengebrochen sei. Facebook wird gebeten, das Video zu entfernen. Facebook prüft. Facebook entscheidet: kein Regelverstoß. Die Realität, so scheint es, hat in den Nutzungsbedingungen keinen festen Platz.
Der Urheber der Videos arbeitet unter dem denkbar unauffälligen Namen „Islam“, zeigt seit Oktober mehrere KI-generierte Clips und testet sich schrittweise an die Wirklichkeit heran. Erst Männer, die sich in Schlangen verwandeln. Dann Regen aus Walen. Danach Drachen über den Wolken. Spätestens bei Löwenangriffen in Paris hätte man stutzig werden können, doch offenbar gilt: Je absurder die Welt ohnehin wirkt, desto weniger fällt der Unsinn auf.
Irgendwann wird es politisch. Ein realer Putschversuch im Benin liefert die Steilvorlage, kurz darauf „berichtet“ eine künstliche RFI-Journalistin über Machtübernahmen, erst in Westafrika, dann gleich in Frankreich. Millionen Klicks. Reichweite. Aufmerksamkeit. Und natürlich der dezente Hinweis am Rand: Wer selbst solche viralen Videos erstellen möchte, könne sich gerne per WhatsApp melden. Bildungsoffensive nennt man das heute.
Das eigentlich Faszinierende an dieser Affäre ist nicht die technische Leistung. Die ist banal. KI kann inzwischen täuschend echt sprechen, schauen, betonen. Wirklich bemerkenswert ist die moralische Leere, die diese Technik begleitet. Da wird ein Staatsstreich erfunden wie früher eine Schlagzeile auf dem Schulhof. Und wenn es Ärger gibt, folgt der Rückzug ins Vokabular der Reue. Fiktiv, schlecht formuliert, Missverständnis. Ups.
Der Mann entschuldigt sich. Aufrichtig, wie er betont. Er respektiere Institutionen, Völker, Autoritäten. Künftig wolle er verantwortungsvoll arbeiten, verifizieren, besser werden. Man glaubt ihm fast – so wie man auch Kindern glaubt, die erklären, sie hätten nur mal kurz schauen wollen, was passiert, wenn man den Böller anzündet. Das Problem ist nur: In sozialen Netzwerken explodiert nicht der Böller, sondern das Vertrauen.
Besonders hübsch ist das Detail, dass einige der Videos bereits selbstreflexiv auftreten. Eine KI-Journalistin erklärt dort, sie sei gar nicht real, sondern künstlich erschaffen – und bietet im selben Atemzug einen Kurs an, wie man genau solche Täuschungen produziert. Transparenz als Verkaufsargument. Das ist ungefähr so, als würde ein Taschendieb nach dem Diebstahl eine Visitenkarte dalassen mit dem Hinweis auf sein nächstes Seminar.
Natürlich ließe sich all das als skurrile Randnotiz abtun. Ein einzelner Bastler, ein paar Videos, ein Missverständnis. Doch der Mechanismus ist bekannt. Identitäten werden gefälscht, Medienmarken imitiert, politische Krisen simuliert. Die prorussischen Desinformationskampagnen haben das längst perfektioniert. Neu ist nur die Bequemlichkeit. Früher brauchte es Redaktionen, Server, Strukturen. Heute reicht ein Laptop und ein bisschen Dreistigkeit.
Facebook, das diese Videos trotz Hinweisen nicht entfernen wollte, spielt dabei die Rolle des gelangweilten Türstehers. Solange die Regeln formal eingehalten werden, darf der Unsinn rein. Ob draußen jemand in Panik gerät, interessiert nur am Rande. Die Plattform ist schließlich kein Wahrheitsministerium. Sie ist ein Marktplatz – und Panik verkauft sich gut.
Am Ende bleiben die „aufrichtigen Entschuldigungen“ und die gelöschten Videos. Der Schaden, unsichtbar wie er ist, bleibt. Vertrauen erodiert nicht mit einem Knall, sondern leise, Clip für Clip. Irgendwann fragt man sich bei jeder Nachricht, ob sie echt ist oder nur gut animiert. Und genau dann haben alle verloren, die sich noch um Wirklichkeit bemühen.
Nicht alles, was man machen kann, sollte man auch machen. Dieser Satz klingt altmodisch, fast spießig. Er stammt aus einer Zeit, in der technische Möglichkeiten noch von Gewissen begleitet wurden. Heute gilt oft das Gegenteil: Was Klicks bringt, wird ausprobiert. Die Entschuldigung kommt später. Oder nie.
Vielleicht liegt die wahre Ironie dieser Geschichte darin, dass der erfundene Staatsstreich glaubwürdiger wirkte als die anschließende Reue. Das ist kein gutes Zeichen. Für niemanden.
Ein Kommentar von C. Hatty
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