Tag & Nacht




Manchmal gibt es politische Momente, die sich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlen. Der 9. Juni 2025 in Mormant-sur-Vernisson war genau so ein Tag. Als Viktor Orbán, Matteo Salvini und Santiago Abascal Schulter an Schulter mit Marine Le Pen und Jordan Bardella vor jubelnden Massen standen, war das kein gewöhnliches politisches Treffen. Es war ein Fanal. Ein düsteres Zeichen dafür, dass der Populismus sich nicht mehr versteckt. Er marschiert – selbstbewusst, organisiert und laut. Und wir schauen zu.

Ich schreibe das nicht als neutraler Beobachter, nicht als Analyst. Ich schreibe das als Bürger Europas, als Sohn von Eltern, die wussten, was es bedeutet, gegen Diktatur und Ausgrenzung aufzustehen. Ich schreibe das als jemand, der Angst hat. Angst davor, was passiert, wenn aus Worten wieder Taten werden.

Denn was in Mormant-sur-Vernisson geschah, war kein harmloses Volksfest. Es war die Inszenierung einer Weltanschauung, die Andersdenkende und Anderslebende als Bedrohung betrachtet. Eine Bühne für Männer (und eine Frau), die den Zerfall der EU, die Abschottung Europas und die Verklärung ethnischer Homogenität predigen – verpackt in die Sprache des „gesunden Menschenverstands“.

Das ist der Kern des Populismus: Er klingt so einfach, so verführerisch. „Wir gegen die da oben“. „Das wahre Volk gegen die Eliten“. „Nationalstolz statt Multikulti“. Doch hinter diesen Phrasen steckt eine gefährliche Logik: Wer nicht dazugehört, wird ausgeschlossen. Wer widerspricht, wird zum Feind erklärt. Und wer warnt, gilt als Teil des Systems, das angeblich „zerstört werden muss“.

Populismus ist keine Antwort auf die Krise – er ist die Krise. Er gießt Öl ins Feuer der Unsicherheit, hetzt Gruppen gegeneinander auf und erweckt den Anschein, komplexe Probleme ließen sich durch einfache Feindbilder lösen. Es ist kein Zufall, dass Orbán von „Bevölkerungsaustausch“ spricht – ein Begriff, der direkt aus den giftigen Theorien der extremen Rechten stammt. Es ist kein Zufall, dass Salvini von „Invasion“ spricht, wenn es um verzweifelte Menschen auf der Flucht geht.

Und es ist kein Zufall, dass all das Applaus bekommt.

Dieser Applaus erschüttert mich.

Er zeigt: Die Brandmauer ist nicht gefallen – sie wurde nie gebaut.

Es geht nicht mehr um konservativ oder progressiv, um links oder rechts. Es geht darum, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, die Vielfalt aushält – oder in einer, die sie bekämpft. Es geht um unsere Demokratie, unser Europa, unsere Verantwortung.

Natürlich ist die EU nicht perfekt. Natürlich gibt es berechtigte Kritik an Bürokratie, Intransparenz und politischer Entfremdung. Aber der Populismus löst nichts – er zerstört nur. Wer glaubt, mit Le Pen, Orbán & Co. bekomme man die Kontrolle zurück, wird sich bald in einer Welt wiederfinden, in der Kontrolle nur noch eins bedeutet: Unterdrückung.

Was mich so wütend macht: Wir wissen das alles. Wir kennen die Geschichte. Wir haben die Bilder gesehen – von Zügen, Lagern, Mauern. Und doch applaudieren Menschen in einem französischen Dorf einer Politik, die anscheinend alles vergessen hat.

Wenn das der „Tag des Sieges“ ist, dann fürchte ich um unsere Zukunft.

Und ich frage: Wann fangen wir endlich an, nicht nur zu reagieren, sondern zu kämpfen? Nicht mit Hass, sondern mit Haltung. Nicht mit Schweigen, sondern mit klarer, unmissverständlicher Sprache.

Denn eines ist sicher: Wer in Zeiten wie diesen neutral bleibt, stellt sich auf die Seite der Zerstörer.

Ein Kommentar von Andreas M. Brucker

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!