Manchmal frage ich mich: Wann ist der Punkt erreicht, an dem wir kollektiv merken, dass der Kurs, den ein Land einschlägt, in die Irre führt? Frankreich, das Land der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – und doch wird dort Tag für Tag das Gegenteil praktiziert. Besonders dann, wenn es um Muslime geht.
Denn seien wir ehrlich: Die Allianz zwischen Rechtspopulismus und Islamophobie ist kein Zufall. Sie ist das kalkulierte Produkt politischer Strategie – eine Mischung aus Angst, Ressentiment und Machtgier. Das Erfolgsrezept? „Die da“ für alles verantwortlich machen, was im eigenen Land schiefläuft.
Klar, Frankreich hat Probleme: soziale Ungleichheit, wirtschaftliche Herausforderungen, ein angeschlagenes Vertrauen in die Politik. Aber anstatt Lösungen zu suchen, schieben Rechtspopulisten wie der Rassemblement National (RN) die Verantwortung auf eine Minderheit, die ohnehin schon am Rand steht. Und sie tun es geschickt – sie verpacken alte Ängste in neue Worte, modernisieren den Rassismus und geben ihm den Anstrich von „Sicherheit“ und „Tradition“.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 29 Prozent mehr antimuslimische Übergriffe in nur einem Jahr – fast jeder zweite Franzose glaubt, dass Kinder von Einwanderern „nicht wirklich französisch“ sind. Das ist nicht nur eine Statistik, das ist ein Alarmsignal. Eine Gesellschaft, die Minderheiten systematisch ausgrenzt, verliert am Ende sich selbst.
Aber Frankreich ist doch laizistisch, heißt es dann oft. Der Staat sei neutral gegenüber Religionen. Wirklich? Wenn das Tragen religiöser Kleidung verboten wird – gezielt bei Musliminnen, wohlgemerkt –, ist das keine Neutralität. Das ist ein Angriff auf religiöse Freiheit. Man kann das nicht schönreden.
Und die Medien? Die leisten fleißig Schützenhilfe. Begriffe wie „Islamo-Gauchisme“ – eine angebliche Verbindung von Linken und Islamisten – sind so perfide wie effektiv. Sie stigmatisieren und delegitimieren – sie schüren das Gefühl, dass es da ein „Wir“ und ein „Die“ gibt. Das ist brandgefährlich. Es untergräbt nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt, es treibt ihn mutwillig auseinander.
Die rechte Rhetorik bedient sich der Islamophobie als Motor. Sie nutzt sie, um Wähler zu mobilisieren, Ängste zu instrumentalisieren und politische Macht zu sichern. Dabei geht es nie wirklich um den Islam – es geht um Kontrolle, um das Feindbild, das den Blick von den wahren Problemen ablenkt. Denn es ist immer leichter, mit dem Finger auf andere zu zeigen, als sich den eigenen Schwächen zu stellen.
Was bleibt also? Ein vergiftetes Klima, das misstrauisch macht, das Nachbarn zu Fremden werden lässt. Und mittendrin sitzen jene, die längst nicht mehr die Kraft haben, dagegen anzukämpfen – die Muslime Frankreichs, die seit Jahren den Preis für diesen Kulturkampf zahlen.
Doch was wäre, wenn wir mal den Mut hätten, diesen Kreislauf zu durchbrechen? Wenn wir nicht auf die Lautesten hören, sondern auf die, die versuchen Brücken zu bauen? Frankreich könnte so viel sein – ein Leuchtturm der Vielfalt, ein Beispiel für gelebte Demokratie.
Aber dafür müssten wir aufhören, uns von Angst und Populismus leiten zu lassen.
Wie viel Spaltung hält ein Land aus? Vielleicht sollten wir das fragen, bevor es zu spät ist.
Ein Kommentar von C. Hatty
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