Man könnte meinen, irgendwann sei doch mal Schluss. Ein Punkt erreicht. Die Grenze des moralisch Zumutbaren überschritten. Aber nein – der Rassemblement National (RN), dieser politische Dauerbrenner des französischen Grauens, beweist erneut, dass das Fass der Dreistigkeit nach unten offen ist. Und diesmal? Ein sogenanntes „Mediatraining“ – von europäischen Steuergeldern finanziert, versteht sich –, das offenbar nicht etwa der Aufklärung über Brüsseler Agrarpolitik diente, sondern der stilistischen Politur von Präsidentschaftskandidat*innen in Frankreich.
Wie charmant. Öffentliches Geld für private Machtträume. Ist ja nicht das erste Mal. Wird auch nicht das letzte Mal sein.
Jordan Bardella, dieser smarte Posterboy der Rechten, ließ sich offenbar ab Herbst 2021 von einem Coach medienfit machen. Nicht etwa, um in Straßburg glänzend über Richtlinien zur Netzneutralität zu debattieren – sondern um die Bühnenreife für die französische Präsidentschaftskampagne zu erlangen. So steht es jedenfalls im „Canard Enchaîné“, und der hat in der Vergangenheit mehr Licht in dunkle Ecken gebracht als jede französische Staatsanwaltschaft in zwei Jahrzehnten.
Aber was soll’s. Der RN? Der lebt doch davon, dass ihn all das nicht kratzt. Wählerstimmen sind bekanntlich klebrig wie Honig, sobald sich die Opferrolle inszenieren lässt. „Die da oben gegen uns“, „Hexenjagd der Eliten“ – das altbekannte Lied. Dabei müsste man eigentlich fragen: Wer jagt hier eigentlich wen?
Denn diese neue Klage der Anti-Korruptionsorganisation AC!! ist kein Einzelfall. Sie reiht sich ein in ein ganzes Bestiarium juristischer Verfahren: Assistenzskandale, Geldflüsse in schwarze Löcher, verschwundene Budgets. Jüngst erst: Die Sache mit den 4,3 Millionen Euro, die der EU-Gruppierung „Identität und Demokratie“ – in trauter Gemeinsamkeit mit dem RN – irgendwie… sagen wir mal: „abhandenkamen“. Zwischen 2019 und 2024. Kein Scherz.
Man fragt sich unweigerlich: Wird im RN eigentlich auch mal regulär gearbeitet? Oder ist das Parteiprogramm inzwischen eine Art Workshop in kreativer Buchhaltung?
Die Liste der Vergehen ist so lang, dass selbst ein altgedienter Gerichtsdiener sie kaum mehr tragen könnte. Und mittendrin: Marine Le Pen, die Grande Dame des politischen Scheinwerferlichts. In erster Instanz zu fünf Jahren Unwählbarkeit verurteilt – wegen der berühmten Affäre um EU-Parlamentsassistent*innen, die angeblich mehr mit Wahlkampf in Frankreich als mit Europapolitik zu tun hatten. Aber klar: Alles nur ein Versehen. Ein bedauerliches Missverständnis. Sicher.
Man sollte meinen, eine Bewegung, die so viel von „Werten“, „Nation“ und „Ehre“ faselt, würde sich auch ein Mindestmaß an Integrität auf die Fahne schreiben. Doch stattdessen scheint man beim RN das Prinzip der öffentlichen Finanzierung in eine Art politischen Wildwuchs verwandelt zu haben. Wo’s Geld gibt, wird zugegriffen. Ob gerechtfertigt oder nicht, ist nebensächlich – Hauptsache, es zahlt am Ende jemand anders.
Was bleibt, ist ein beunruhigendes Muster: Ein Parteiapparat, der sich systematisch aus öffentlichen Kassen bedient, um seine Macht zu zementieren. Eine Rechtsaußenpartei, die demokratische Institutionen mit kühler Berechnung ausnutzt – während sie gleichzeitig behauptet, genau diese Institutionen seien „korrupt“ und „abgehoben“.
Das ist, als würde ein Dieb die Polizei beschimpfen, weil sie ihn beim Stehlen stört.
Doch der vielleicht bitterste Beigeschmack: Dass sich weite Teile der Bevölkerung längst daran gewöhnt haben. Ach ja, wieder ein Skandal beim RN – und morgen geht’s weiter. Irgendwann wird aus Empörung Gleichgültigkeit. Und das ist gefährlicher als jeder Finanztrick.
Denn wer sich an das Unrecht gewöhnt, öffnet dem nächsten Machtmissbrauch Tür und Tor.
Und wer weiß – vielleicht sitzt der nächste Mediatrainer ja schon bereit, finanziert mit Geldern, die eigentlich für etwas anderes gedacht waren. Zum Beispiel für Europa.
Ein Kommentar von Daniel Ivers
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