Es passiert immer wieder – und trotzdem tun wir jedes Mal überrascht. Entsetzt. Fassungslos. Diesmal heißt das Opfer Hichem Miraoui, Friseur, Vater, Mensch. Er wurde in Puget-sur-Argens ermordet – kaltblütig, mit Ansage, mitten in einem Land, das sich gern „zivilisiert“ nennt.
Der Täter? Christophe B., 53, Franzose, Sportschütze, Nachbar, Alltagsrassist mit Terrorpotenzial. Einer, den man oft findet: in Facebook-Kommentaren, am Stammtisch, in gewissen Telegram-Gruppen. Einer, der laut denkt, was viele still nicken – und dem irgendwann der Finger am Abzug nicht mehr zittert.
Und jetzt? Jetzt fangen wieder alle an zu stottern. Politiker werfen sich mit Worthülsen um sich: „Einzelfall“, „Schock“, „unfassbar“. Nein, Freunde. Das war kein Einzelfall – das war ein Ergebnis. Die Folge eines Klimas, das sich seit Jahren verdüstert. Ein Klima, in dem rechte Hetze als Meinung gilt, in dem „Remigration“ im Wahlprogramm steht und rassistische Sprüche zur Folklore verkommen.
Rechtspopulismus ist nicht nur eine Meinungsrichtung. Er ist ein Brandbeschleuniger. Wer gegen Migranten hetzt, gegen Muslime polemisiert, gegen Diversität schäumt, legt das Fundament für genau solche Taten. Er schafft den Nährboden – und irgendwer greift irgendwann zur Waffe.
Doch statt dieser Wahrheit ins Gesicht zu blicken, flüchten wir uns in Euphemismen. Da wird nicht von Terror gesprochen, sondern von „Tatverdächtigen“. Als wären Worte gefährlicher als Kugeln.
Wollen wir wirklich so weiterleben?
Wollen wir weiter diskutieren, ob jemand „das ja vielleicht gar nicht so gemeint“ hat, während Menschen erschossen werden? Wollen wir wirklich darauf warten, dass der nächste Hichem stirbt, bevor wir ernsthaft etwas unternehmen?
Die sogenannte Mitte der Gesellschaft muss sich entscheiden. Will sie weiter schweigen, wenn rechte Parolen durch Talkshows wabern? Will sie weiter in ihrer Komfortzone hocken und hoffen, dass der Hass sich irgendwann selbst erledigt?
Oder sagt sie endlich: Schluss damit.
Denn wer Rassismus duldet, macht sich mitschuldig. Wer Rechtspopulismus mit demokratischer Vielfalt verwechselt, hat nichts verstanden. Und wer jetzt noch glaubt, dass diese Ideologie harmlos sei – der soll sich bitte den Tatort in Puget-sur-Argens anschauen.
Die Kugeln von Christophe B. wurden nicht nur durch Waffen abgefeuert. Sie wurden geladen durch Worte. Worte, die zu oft ungestraft bleiben.
Wann lernen wir endlich, dass das tödlich ist?
Ein Kommentar von Andreas M. Brucker
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