Wie oft haben wir es gehört: „Nie wieder Krieg in Europa.“ Ein Satz, der einst so selbstverständlich klang wie „Wasser ist nass“ oder „Züge fahren auf Schienen“. Doch jetzt, da dieser Krieg längst Realität ist – mitten in Europa, mit Panzern, Raketen, Massengräbern – scheint nichts mehr selbstverständlich zu sein. Nicht einmal die Erkenntnis, dass ein überfallener Staat Unterstützung verdient.
Am 27. März in Paris trafen sich die Vertreter Europas, um über die Ukraine zu sprechen. Über das Land, das sich seit Jahren gegen einen barbarischen Angriff verteidigt. Über ein Volk, das für unsere gemeinsamen Werte kämpft: Freiheit, Souveränität, Demokratie. Und was kam dabei heraus? Die Idee einer „Koalition der Willigen“. Eine Allianz jener, die bereit sind, die Ukraine weiter militärisch zu unterstützen. Klingt gut. Ist es aber nicht. Denn diese Formulierung offenbart das ganze Elend unserer Zeit: Dass man sich überhaupt zusammentun muss, um zu tun, was eigentlich selbstverständlich wäre.
Was ist das für ein moralisches Vakuum, in dem man sich rechtfertigen muss, weil man helfen will? In dem Entschlossenheit zur Sonderhaltung wird – und Zögern zum Maßstab? Wenn die Unterstützung eines überfallenen Landes zur Option wird, über die man auf Gipfeln debattiert, dann ist etwas grundlegend falsch. Die Ukraine braucht keine zögernde Diplomatie. Sie braucht Waffen. Sie braucht Schutz. Und sie braucht Klarheit – politisch, militärisch, moralisch.
Stattdessen erleben wir ein europäisches Schauspiel der Halbherzigkeit. Man druckst herum. Man prüft, wägt ab, sagt Nein zu Raketen, Ja zu Minenräumern, aber bitte nicht gleich, sondern nach der Sommerpause. Und während in Berlin Sorgen um „Eskalation“ kreisen, schlagen in Charkiw die Bomben ein. Was genau müsste eigentlich noch passieren, damit wir begreifen, dass dies kein regionaler Konflikt ist, sondern ein Angriff auf die Idee Europas selbst?
Frankreich und Großbritannien versuchen, Initiative zu zeigen. Sie sprechen von Sicherungstruppen – nicht an der Front, aber im Land, als Zeichen, dass wir die Ukraine nicht alleine lassen. Und was macht der Rest? Einige nicken vorsichtig. Andere schweigen. Und wieder andere, darunter auch Deutschland, verstecken sich hinter der Sorge, zu weit zu gehen. Zu weit? Was bitte ist zu weit, wenn ein brutal überfallenes Land um sein Überleben kämpft?
Wir haben uns bequem eingerichtet in der Rolle der Mahner, der Vermittler, der Beobachter mit schwerem Herzen. Doch ein schweres Herz reicht nicht. Es verhindert keine russischen Offensiven. Es liefert keine Munition. Es baut keine Luftabwehr auf. Wer wirklich helfen will, muss handeln – auch wenn es unbequem ist. Auch wenn es Risiken birgt. Auch wenn es bedeutet, politisch Farbe zu bekennen.
Die „Koalition der Willigen“ ist, bei aller Symbolkraft, ein Offenbarungseid. Sie zeigt: Wir sind nicht bereit, gemeinsam das Selbstverständliche zu tun. Und genau deshalb ist sie notwendig geworden. Weil zu viele lieber warten. Weil zu viele hoffen, dass der Sturm vorbeizieht, ohne nass zu werden.
Aber das wird er nicht. Russland wird nicht aufhören. Dieser Krieg wird nicht von alleine enden. Und je länger wir zaudern, desto mehr zerstören wir – nicht nur in der Ukraine, sondern auch von dem, was Europa ausmacht. Die Ukraine verteidigt nicht nur ihre Heimat. Sie verteidigt die Grundsätze, auf denen unsere Friedensordnung ruht. Wenn wir das nicht begreifen, dann haben wir uns längst verloren.
Autor: P.T.
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