Tag & Nacht




Man muss kein Zyniker sein, um in der geplanten israelischen Behörde zur „Förderung der freiwilligen Ausreise“ von Palästinensern aus dem Gazastreifen eine perfide Irreführung zu erkennen. Es reicht, ein Mindestmaß an historischer Bildung, Empathie und sprachlichem Feingefühl mitzubringen. Denn was hier als freiwillig etikettiert wird, ist in Wahrheit das Ergebnis systematisch herbeigeführter Ausweglosigkeit.

Wie frei ist ein Mensch, der unter Belagerung lebt, dessen Lebensgrundlagen zerstört, dessen Familien zerrissen, dessen Häuser zerbombt wurden? Wie freiwillig ist die Entscheidung zu gehen, wenn das Bleiben nur Hunger, Angst und Elend verspricht? Israel hat in den vergangenen Monaten nicht nur militärisch im Gazastreifen operiert, sondern eine ganze Bevölkerung an den Rand der physischen und psychischen Erschöpfung gedrängt. Die Bilder aus Chan Junis, aus Rafah, aus den zerbombten Ruinen von Schulen, Kliniken und Wohnhäusern sprechen eine deutliche Sprache – und sie widersprechen der Erzählung einer „humanitären Ausreisehilfe“ auf zynische Weise.

Natürlich kann man argumentieren, dass ein Staat wie Israel legitime Sicherheitsinteressen verfolgt. Dass er sich gegen Angriffe der Hamas verteidigen muss. Dass er – nach Jahrzehnten fruchtloser Verhandlungen – nach neuen Strategien sucht. Aber mit dieser Maßnahme überschreitet die israelische Regierung eine rote Linie: Sie stellt sich offen gegen das Völkerrecht, das die dauerhafte Besatzung und die erzwungene Vertreibung von Zivilbevölkerungen ausdrücklich verbietet.

Die geplante Behörde ist mehr als ein technokratisches Instrument. Sie ist ein politisches Signal – und ein moralischer Offenbarungseid. Sie folgt der Vision Donald Trumps, der schon 2020 davon sprach, zwei Millionen Palästinenser in andere arabische Staaten „umzusiedeln“. Der Begriff der „freiwilligen Ausreise“ erinnert in diesem Kontext schmerzhaft an historische Euphemismen: „Evakuierung“, „Umsiedlung“, „Neubeginn“. Alles Worte, die das Leid der Vertriebenen verharmlosen sollten – und es doch nicht konnten.

Ein weiteres Problem: Es gibt kein klares Ziel. Kein Land hat sich bislang bereit erklärt, Menschen aus Gaza aufzunehmen. Ägypten dementierte Berichte, wonach es eine halbe Million Flüchtlinge aufnehmen wolle, mit Nachdruck. Auch Jordanien und Libanon stemmen sich seit Jahren gegen eine dauerhafte Ansiedlung palästinensischer Flüchtlinge – aus Angst vor innerer Destabilisierung und dem Verlust des Rückkehrrechts der Palästinenser.

Die Behauptung, man wolle lediglich helfen, ist in diesem Licht ein Schlag ins Gesicht all jener, die tatsächlich helfen: Ärzte ohne Grenzen, UNRWA, lokale Initiativen, zivilgesellschaftliche Gruppen. Ihre Arbeit wird nicht durch Ausreisebehörden erleichtert, sondern durch Waffenstillstände, offenen Grenzübergänge und politischen Willen zu einer gerechteren Zukunft.

Das perfideste an diesem Vorhaben ist aber: Es verkehrt Ursache und Wirkung. Nicht die Palästinenser verlassen ihre Heimat, weil sie in anderen Ländern eine bessere Zukunft suchen. Sie fliehen, weil ihre Gegenwart in Trümmern liegt – weil ihnen systematisch die Luft zum Atmen genommen wurde. Und nun sollen sie auch noch offiziell gedrängt werden, diese Trümmer für immer hinter sich zu lassen.

Diese Politik ist nicht defensiv, sie ist eliminatorisch. Sie zielt nicht auf Sicherheit, sondern auf Entleerung. Auf ein Gaza ohne Palästinenser. Auf die „Lösung“ eines Problems, das politisch nicht gelöst werden will – und deshalb physisch entfernt werden soll.

Wer heute in Jerusalem eine Ausreisebehörde plant, stellt sich damit nicht nur gegen den Geist von Oslo und Madrid, sondern gegen jede Hoffnung auf eine gerechte, gemeinsame Zukunft. Frieden entsteht nicht durch Vertreibung. Frieden entsteht durch Anerkennung, Gerechtigkeit und gegenseitige Sicherheit.

Alles andere ist ein anderes Wort für Kapitulation. Nicht der Palästinenser – sondern der Menschlichkeit.

P.T.

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