Tag & Nacht

In Nizza, der fünftgrößten Stadt Frankreichs, steht eine kontroverse Entscheidung bevor: Der Bürgermeister Christian Estrosi will die riesigen Kreuzfahrtschiffe aus dem Hafen verbannen. Sein Ziel? Die drastische Reduzierung der Umweltverschmutzung durch diese schwimmenden Megastädte. Ein entsprechender Erlass soll ab dem 1. Juli in Kraft treten und könnte weitreichende Konsequenzen für die Kreuzfahrtbranche entlang der Côte d’Azur haben. Aber ist das wirklich die Lösung? Oder handelt es sich eher um einen Tropfen auf den heißen Stein?


Was genau plant Nizza?

Konkret plant Estrosi, Kreuzfahrtschiffe mit einer Länge von über 190 Metern und mehr als 900 Passagieren die Einfahrt in den Hafen von Nizza zu verbieten. Die Maßnahme würde schlagartig rund 70.000 Kreuzfahrttourist*innen von den Straßen der Stadt fernhalten – allein zwischen Juli und Jahresende. Das ist eine Menge Menschen, die nicht nur für Trubel in der Altstadt sorgen, sondern auch tonnenweise Müll und Abgase hinterlassen.

Aber Moment mal: Warum gerade 900 Passagiere? Und warum eine Begrenzung auf 190 Meter Länge? Diese Grenzwerte zielen darauf ab, die besonders großen und umweltschädlichen Schiffe, die oft mehrere Tausend Menschen gleichzeitig befördern, auszuschließen. Solche Schiffe verbrennen riesige Mengen Schweröl – eines der schmutzigsten Treibstoffe überhaupt. Dabei stoßen sie nicht nur CO₂ aus, sondern auch Schwefeloxide und Feinstaub, die in Küstenregionen besonders stark die Luftqualität belasten.


Umweltkatastrophe auf See: Wie schlimm ist die Situation wirklich?

Es gibt Zahlen, die einem die Haare zu Berge stehen lassen: Ein einziges Kreuzfahrtschiff kann so viel Feinstaub und Stickoxide ausstoßen wie eine Million Autos an einem Tag. Man stelle sich das vor – während die Stadtbewohner*innen versuchen, mit Elektrobussen und Fahrrädern die Luftqualität zu verbessern, pustet ein einziges Schiff dieselben Schadstoffe in die Atmosphäre, als hätte man einen riesigen Stau vor der Haustür.

Und das ist noch nicht alles: Kreuzfahrtschiffe erzeugen nicht nur Luftverschmutzung, sondern auch massive Mengen an Müll und Abwasser. Oft landen diese – trotz strenger Vorschriften – im Meer. Plastikreste, Abwässer und Chemikalien gefährden marine Ökosysteme, zerstören Korallenriffe und gefährden die Artenvielfalt. Das Mittelmeer, ohnehin eines der am stärksten verschmutzten Meere der Welt, wird so zum Schauplatz einer Umweltkrise.


Cannes und Marseille: Warum verbietet nicht einfach jede Stadt die Kreuzfahrtschiffe?

Hier wird’s knifflig. Während Nizza mit seinem Hafen in der Lage ist, die Einfahrt bestimmter Schiffe zu regulieren, ankern Kreuzfahrtschiffe in Cannes beispielsweise in den nationalen Gewässern, etwa einen Kilometer vor der Küste. Dort hat die Stadt keine direkte Kontrolle. Deshalb hat der Bürgermeister von Cannes eine alternative Strategie gewählt: eine Umweltcharta, die von den Kreuzfahrtgesellschaften unterzeichnet werden muss. Darin verpflichten sich die Reedereien, ihre Emissionen zu reduzieren und umweltfreundlichere Praktiken einzuführen.

Auch in Marseille, dem größten Kreuzfahrthafen Frankreichs, wird der Druck auf die Branche immer größer. Hier setzt man auf strengere Kontrollen und die Elektrifizierung von Hafenanlagen, um die Luftverschmutzung zu reduzieren. Schiffe können dort ihre Motoren abschalten und sich stattdessen an das Stromnetz anschließen. Aber solche Maßnahmen erfordern immense Investitionen – und sind oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein.


Sind Kreuzfahrten noch zeitgemäß?

Kreuzfahrten werden zunehmend kritisch betrachtet. Während sie für die Tourismusbranche jahrzehntelang ein Segen waren, gelten sie heute als einer der größten Klimasünder im Reisebereich. Eine Frage drängt sich auf: Brauchen wir in einer Welt, die sich mitten in einer Klimakrise befindet, wirklich schwimmende Megastädte, die Unmengen an Ressourcen verschlingen?

Das Problem ist komplex. Viele Küstenstädte profitieren wirtschaftlich von den Kreuzfahrttourist*innen – sei es durch lokale Ausgaben in Restaurants, Geschäften oder Museen. Doch gleichzeitig sind die negativen Folgen für die Umwelt und die Lebensqualität der Einheimischen nicht zu übersehen. In Venedig etwa führte der massive Kreuzfahrttourismus zu Protesten der Bevölkerung, da die riesigen Schiffe nicht nur das fragile Ökosystem der Lagune zerstörten, sondern auch die historische Altstadt gefährdeten.


Welche Alternativen gibt es?

Die gute Nachricht ist: Es gibt bereits Lösungen. Die Schifffahrtsindustrie steht unter Druck, umweltfreundlichere Technologien zu entwickeln. LNG (Flüssigerdgas) wird als Übergangslösung für sauberere Antriebe getestet. Gleichzeitig könnten batteriebetriebene Schiffe oder solche mit Wasserstoffantrieb die Emissionen drastisch senken. Aber diese Technologien sind teuer und bislang kaum weit verbreitet.

Eine weitere Option? Kleinere Schiffe, die weniger Passagiere befördern und umweltfreundlicher ausgestattet sind. Diese könnten das Konzept von Luxusreisen auf dem Wasser völlig neu definieren – weg vom Massentourismus, hin zu nachhaltigem und exklusivem Reisen. Aber wer will schon einen alten Dampfer, wenn man für denselben Preis ein schwimmendes Einkaufszentrum haben kann? Genau hier liegt der Knackpunkt: Das Umdenken muss bei den Verbraucher*innen beginnen.


Ein Wendepunkt für den Tourismus?

Die geplanten Einschränkungen in Nizza könnten tatsächlich ein Signal an andere Städte entlang der Côte d’Azur senden. Sollte der Erlass in Kraft treten und erfolgreich sein, könnten auch Cannes, Marseille und andere Häfen strengere Maßnahmen ins Auge fassen. Aber Erfolg bedeutet hier nicht nur, dass die Schiffe fernbleiben. Es geht auch darum, alternative Einnahmequellen für den Tourismus zu schaffen – und die Balance zwischen Umweltschutz und wirtschaftlicher Entwicklung zu finden.

Denn am Ende des Tages haben wir nur diese eine Erde. Ist es wirklich zu viel verlangt, sich von den größten Umweltsündern zu trennen und gleichzeitig bessere Lösungen für alle zu suchen? Die Antwort liegt in unseren Händen. Oder genauer gesagt – in unserem Konsumverhalten.


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