Tag & Nacht




Heute, am 21. Mai, feiern viele Länder den Welttag der kulturellen Vielfalt für Dialog und Entwicklung – ein Termin, der in diesen bewegten Zeiten kaum passender sein könnte. Denn genau das, was gefeiert wird – die Vielfalt, die Offenheit, die gegenseitige Bereicherung – steht zunehmend unter Druck. Unter Druck von Bewegungen, die einfache Wahrheiten versprechen und dabei komplexe Realitäten verkennen.

Rechtspopulistische Kräfte gewinnen in Europa und weltweit an Einfluss. Sie setzen auf Abschottung statt Austausch, auf Homogenität statt Diversität. In ihren politischen Programmen finden sich kaum Ideen für kulturelle Weiterentwicklung, dafür umso mehr Betonung auf Tradition, Nation und vermeintliche Identität. Es ist ein Rückschritt in ein Denken, das kulturelle Unterschiede nicht als Stärke, sondern als Bedrohung sieht.

Dabei ist gerade kulturelle Vielfalt ein zentraler Motor gesellschaftlicher Entwicklung. Wer offen ist für andere Perspektiven, entdeckt neue Lösungen, lernt dazu, verändert sich. Kultur ist nie statisch. Sie wächst – manchmal langsam, manchmal sprunghaft –, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft, Geschichte und Denkweise zusammenkommen. Man denke nur an Musik, Kunst, Sprache oder Essen: All das ist in ständiger Bewegung und lebt vom Miteinander.

Aber was passiert, wenn dieses Miteinander infrage gestellt wird? Wenn plötzlich kulturelle Zugehörigkeit über Teilhabe entscheidet, wenn Menschen wegen ihrer Herkunft misstrauisch beäugt werden oder wenn Fördermittel für kulturelle Projekte gekürzt werden, weil sie „zu fremd“ wirken? Dann wird die kulturelle Entwicklung ausgebremst – nicht aus Mangel an Ideen, sondern aus ideologischer Engstirnigkeit.

Es sind oft gerade die kleinen Initiativen in Stadtteilen, Schulen oder Vereinen, die Brücken bauen. Wo Menschen gemeinsam Theater spielen, sich über Rezepte austauschen oder über Migration diskutieren, entsteht Verständnis. Kein Politiker kann so viel Überzeugungskraft haben wie das persönliche Gespräch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Und klar: Vielfalt bringt auch Herausforderungen. Missverständnisse, Konflikte, Reibungen. Aber was wäre die Alternative? Eine glattgebügelte Gesellschaft, die jede Abweichung als Gefahr sieht? In der das Fremde als Fehler, nicht als Chance betrachtet wird? Das wäre ein Ort der Stille – nicht der friedlichen, sondern der bedrückenden.

Man fragt sich: Warum macht Vielfalt manchen Menschen solche Angst?

Die Antwort liegt oft in Unsicherheit. In Krisenzeiten suchen viele Halt – und finden ihn manchmal dort, wo einfache Antworten locken. Doch Kultur darf kein Opfer dieser Vereinfachungen sein. Sie ist zu wertvoll, zu lebendig, zu wichtig.

Gerade am Welttag der kulturellen Vielfalt braucht es klare Zeichen. Zeichen dafür, dass unsere Gesellschaft bereit ist, offen zu bleiben. Dass wir Diversität nicht nur dulden, sondern als Bereicherung sehen. Dass wir kulturelle Entwicklung aktiv gestalten, nicht von ihr überrollt werden wollen.

Und es braucht Mut. Mut, Stellung zu beziehen. Mut, widersprechen zu können. Und Mut, sich selbst infrage zu stellen – denn auch das ist Teil kultureller Entwicklung: die Fähigkeit, sich zu verändern.

Lasst uns diesen Tag nutzen, um nicht nur zu feiern, sondern um zu reflektieren, zu diskutieren, ja – auch zu streiten. Aber auf Augenhöhe. Mit Respekt. Mit dem Bewusstsein, dass unsere Welt nicht kleiner, sondern größer wird, wenn wir sie teilen.

Vielfalt ist kein Zustand. Sie ist ein Prozess. Einer, der uns herausfordert, aber auch belohnt. Wer sich darauf einlässt, wird überrascht. Und vielleicht auch ein bisschen weiser.

Von Andreas M. Brucker

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