Tag & Nacht


Wer Lussan kennt, vergisst es nicht. Das kleine Dorf im Gard, auf einem Felsvorsprung thronend, umgeben von Mauern und mit einem Blick, der bis zur Garrigue reicht, wirkt, als habe sich hier die Zeit in die Provence verliebt. Zwischen Olivenbäumen und Lavendelduft versteckt sich ein Schatz, der längst über die Grenzen Frankreichs hinaus schillert: die Pintade de Lussan – jene charmanten Keramik-Perlhühner, die in Werkstätten geboren werden, in denen Handwerk noch Herzschlag hat.

Was als kleine, fast vertrauliche Dorfgeschichte begann, ist heute ein Symbol französischer Kreativität, das selbst in New York oder San Francisco auf Designerregalen steht. Doch wie schafft es ein simples Huhn aus Ton, die Welt zu verzaubern?


Ein Dorf, das Kunst atmet

In Lussan spürt man diesen ganz eigenen Rhythmus – leise, fast meditativ. Die schmalen Gassen, die alten Steinhäuser, die Sonne, die über die Steinmauern streicht. Und dann, in einem dieser Häuser, klopft und schleift, pinselt und modelliert ein kleines Team um Adrien Caillard seine besonderen Vögel. Hier duftet es nach Erde, nach Ton, nach Arbeit – nach Leben.

Lussan-Gard
Lussan im Departement Gard

Adrien, ein Mann mit ruhigem Blick und kräftigen Händen, führt das Atelier, das seine Mutter vor einem halben Jahrhundert gegründet hat. „Ma mère voulait faire un objet simple, joyeux, universel“, erzählt er mit einem Lächeln. Ein Objekt, das allen gefällt – vom provenzalischen Nachbarn bis zum kalifornischen Sammler.

Die Formel? Nichts weniger als Poesie in Ton.


Vom Gips zum Glanz

Wer das Atelier betritt, betritt eine kleine Welt der Geduld. In der Hand eines Handwerkers liegt ein Gipsmodell, gefüllt mit Barbotine, dieser flüssigen Tonmischung, die so zart ist wie Schokolade im Wasserbad. Dann beginnt das Warten. Das Ziehen. Das Atmen des Materials.

Und schließlich – ein Moment fast wie eine Geburt. Der Gips öffnet sich, und eine neue Pintade erblickt das Licht des Tages.

Bevor sie in Farbe getaucht wird, bekommt sie eine liebevolle Behandlung: Géraldine Fumey, Céramiste mit einem Auge für Eleganz, glättet sorgsam jede Naht, zeichnet die feinen Konturen nach, formt die drei charakteristischen „Bosses“ über dem Kopf. „C’est là qu’elle prend vie“, sagt sie – hier beginnt das Leben.

Jede Pintade ist anders. Eine leichte Neigung des Halses, eine zartere Linie am Rücken, ein Lächeln, das man fast zu spüren meint. Es ist diese Einzigartigkeit, die sie unwiderstehlich macht.


Die Kunst der Naivität

In der Welt des Designs liebt man oft das Perfekte, das Glatte, das Berechenbare. Doch die Pintade de Lussan bricht mit dieser Logik. Sie ist schlicht – aber niemals simpel. Naiv – aber voller Charme.

Muriel Lods, Dekorateurin der Werkstatt, sagt es treffend: „Elles ont été tellement synthétisées dans leur naïveté… qu’elles plaisent à tout le monde.“ Eine Form, so reduziert, dass sie universell geworden ist.

Wie kann ein Objekt, das scheinbar „altmodisch“ wirkt, plötzlich Kultstatus erlangen? Vielleicht, weil es echt ist. Weil man in jeder Kurve, in jeder Farbspur den Abdruck einer Hand erkennt.

Und sind es nicht genau diese kleinen, menschlichen Unvollkommenheiten, die uns berühren?


Ein Flug über den Atlantik

Heute verlassen jedes Jahr rund 15.000 dieser Keramiktiere das Atelier. Über die Hälfte davon fliegt in die Vereinigten Staaten. Von Paris bis Portland, von Lyon bis Los Angeles – überall finden sich kleine Boutiquen, die stolz „Made in Lussan“ ins Schaufenster schreiben.

In den sozialen Netzwerken zeigen Sammler ihre „pintades“ auf Sideboards, Terrassen oder neben Sukkulenten. Manche posieren mit ihnen wie mit Haustieren, andere sprechen sogar mit ihnen. Verrückt? Vielleicht. Aber wer einmal eine dieser kleinen Figuren betrachtet, versteht, warum.

Da ist etwas Tröstliches an dieser runden Form, an diesem stillen, fast meditativen Blick der Pintade. Als würde sie sagen: „Nimm’s leicht, das Leben ist schön.“


Zwischen Tradition und Zukunft

Adrien Caillard und sein Team ruhen sich nicht auf ihrem Erfolg aus. Immer wieder entstehen neue Farbreihen – pastellige Blautöne, erdige Ocker, mutige Schwarz-Weiß-Kontraste. So bleibt die Pintade de Lussan modern, ohne ihre Wurzeln zu verlieren.

Gleichzeitig bleibt das Herz des Unternehmens unverändert: Handarbeit, lokale Materialien, Nähe zur Natur. Die Tonerde kommt aus der Region, die Glasuren aus französischen Werkstätten, die Ideen aus langen Gesprächen bei einem Café auf der Dorfterrasse.

Könnte das der wahre Luxus unserer Zeit sein – ein Gegenstand, der Zeit, Zuwendung und Geschichte in sich trägt?


Lussan, das kleine Wunder im Gard

Wer das Dorf besucht, versteht schnell, warum Kunst und Landschaft hier so eng miteinander verschmelzen. Die Sonne spiegelt sich in den Keramikfarben, der Wind streicht durch Pinien, und manchmal hört man aus einer Werkstatt ein leises Lachen, wenn wieder eine Pintade gelungen ist.

Vielleicht ist genau das der Geist von Lussan: eine Mischung aus Ernsthaftigkeit und Lebensfreude, aus Handwerk und Poesie, aus Dorf und Welt.

Und wenn in New York eine Designliebhaberin ihre Pintade streichelt, dann fliegt – zumindest symbolisch – ein Stück südfranzösische Seele über den Atlantik zurück nach Hause.


Eine kleine Geschichte mit großem Herz

Die Pintade de Lussan ist mehr als ein Dekorationsobjekt. Sie ist ein Symbol für das, was Frankreich ausmacht: Stolz auf das Handwerk, Liebe zum Detail, Freude am Schönen.

In einer Welt, die immer schneller, digitaler und lauter wird, erinnert sie uns daran, dass wahre Schönheit leise spricht.

Und vielleicht – ganz vielleicht – steckt in jedem von uns ein kleines Perlhuhn, das einfach in Ruhe träumen will.

Ein Artikel von M. Legrand

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