Tag & Nacht


Ein Kind wird von einer Kugel getroffen. Neun Polizisten landen verletzt im Krankenhaus. Familien mit kleinen Kindern werden auf einer Landstraße von Baseballschlägern bedroht. Nein, wir reden nicht von Mexiko-Stadt. Wir reden von Limoges. Einer französischen Mittelstadt, einst Synonym für Ruhe, Porzellan und Provinzcharm – heute ein Pulverfass.

Was ist passiert?

Frankreich befindet sich längst in einem Drogenkrieg. Und Limoges, Béziers, Rennes oder Grenoble sind nur die sichtbarsten Brandherde. Der 19. Juli war kein „Zwischenfall“. Es war ein lauter Schrei: Ein Staat verliert die Kontrolle. Im Val de l’Aurence, einem Quartier wie aus dem sozialpolitischen Lehrbuch des Scheiterns, liefern sich jugendliche Dealer und die Polizei eine Straßenschlacht mit Mörsern, Baseballschlägern und blankem Hass. Wer da noch von „Jugenddelinquenz“ spricht, verharmlost die Realität.

Denn das ist keine Jugendkriminalität. Das ist organisierter, brutal durchgesetzter Drogenhandel. Mit Waffen. Mit territorialem Anspruch. Mit Einschüchterung. Und mit dem Gefühl: Uns kann sowieso niemand etwas.

Wer trägt die Verantwortung?

Die Politik. Und zwar seit Jahrzehnten. Man hat ganze Viertel dem sozialen Verfall überlassen – mit wohlklingenden Konzepten, aber ohne echte Mittel. Man hat Schulen verkommen lassen, Arbeitslosigkeit verwaltet, Parallelgesellschaften ignoriert. Und jetzt? Jetzt ist man überrascht, dass junge Menschen, ohne Zukunft, ohne Perspektive, aber mit Zugang zu schnellen Euros aus dem Kokainverkauf, sich ihre eigene Ordnung schaffen.

Und die Justiz?

Sie wartet auf mehr Personal. Der Vergleich mit Europa ist beschämend. Viermal mehr Staatsanwälte bräuchte Frankreich, um auch nur im Mittelfeld zu landen. Viermal! Das ist kein Detail. Das ist ein Systemversagen.

Und was tut der Staat?

Er schickt Polizei-Einheiten. Macht punktuelle Razzien. Greift durch – für ein paar Tage. Die Dealer aber, sie lachen. Weil sie zurückkommen. Weil sie wissen: Das Netz der Kontrolle hat Löcher. Und das größte Loch ist politischer Wille. Oder genauer gesagt: der Mangel daran.

Wie konnte es so weit kommen?

Weil man die Augen verschlossen hat. Weil man lieber über „Chancengleichheit“ philosophiert hat, statt sich den Realitäten der Straße zu stellen. Weil man dachte, der Drogenhandel sei ein Problem von Marseille, nicht von Limoges. Falsch gedacht. Die Dealer haben keine Postleitzahlenschranken. Sie gehen dahin, wo man sie am wenigsten stört. Und das ist – ausgerechnet – die Mitte Frankreichs. Die Stille. Die Unscheinbare. Die Vergessene.

Limoges steht symbolisch für das, was in Frankreich falsch läuft.

Eine Stadt, die sich selbst nicht wiedererkennt. Eine Gesellschaft, die Gefahr läuft, sich aufzugeben. Und ein Staat, der mit angezogener Handbremse gegen eine Gewalt ankämpft, die längst wie ein Krebsgeschwür wuchert. Denn wer nicht hart und klug zugleich handelt, verliert. Und der Staat verliert gerade – Meter für Meter.

Was jetzt?

Es reicht nicht, Polizeiwagen durch die Straßen rollen zu lassen. Wir brauchen eine nationale Offensive. Keine Gießkanne, kein Placebo, sondern echten politischen Mut. Wer sich Frankreich zurückholen will, muss investieren – in Bildung, in Justiz, in Sozialarbeit. Und ja, auch in Polizei. Aber vor allem: in Konsequenz. Wer Drogenhandel duldet, duldet Gewalt. Wer Gewalt duldet, verliert das Vertrauen der Menschen.

Und wenn Frankreich dieses Vertrauen verspielt – was bleibt dann noch?

Ein Kommentar von C. Hatty

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!