Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat eine neue Phase in den traditionell angespannten Beziehungen zwischen Paris und Algier eingeläutet. Mit dem Ruf nach „mehr Entschlossenheit und Klarheit“ im Umgang mit Algerien reagiert der Élysée auf eine Reihe ungelöster Konflikte – darunter Rückführungsfragen, Sicherheitsrisiken und historische Spannungen. Die jüngsten Maßnahmen, darunter die Aussetzung eines bilateralen Visa-Abkommens, signalisieren eine Wende in der französischen Maghreb-Politik – mit weitreichenden geopolitischen Folgen.
Eine Beziehung unter Dauerbelastung
Seit Jahrzehnten ist das Verhältnis zwischen Frankreich und Algerien von Ambivalenz geprägt – belastet durch das koloniale Erbe, asymmetrische Abhängigkeiten und gegenseitiges Misstrauen. In den vergangenen Monaten jedoch verdichteten sich die Reibungspunkte. Algerien verweigert zunehmend die Ausstellung von sogenannten laissez-passer – Reisedokumenten, die zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber notwendig sind. Laut französischem Innenministerium betrifft dies mehrere tausend Fälle jährlich. Als Reaktion auf diese Verweigerung hatte Paris bereits 2021 temporär die Visavergabe für algerische Staatsbürger reduziert – nun geht man einen Schritt weiter.
Besonders heikel wurde die Lage durch zwei konkrete Vorfälle: die Inhaftierung des französisch-algerischen Schriftstellers Boualem Sansal in Algier, sowie die Messerattacke eines algerischen Staatsbürgers in Mulhouse im Februar 2025. Letzterer hätte laut Behörden bereits abgeschoben werden sollen – ein Fall, der die sicherheitspolitische Dimension der diplomatischen Krise schlagartig in den Fokus rückte.
Der Bruch mit alten Übereinkünften
Macrons Entscheidung, das bilaterale Visa-Abkommen von 2013 auszusetzen, betrifft vor allem algerische Diplomaten und Funktionäre mit offiziellen Pässen, die bislang weitgehend visafrei in den Schengenraum reisen konnten. In einem Schreiben an Premierminister François Bayrou forderte der Präsident zudem, diese Linie auf europäischer Ebene abzustimmen – ein klares Signal, dass Frankreich seine Frustration mit Algerien nicht mehr allein austragen will.
Die Maßnahme reiht sich ein in eine Reihe französischer Initiativen, die auf mehr Druck und weniger Nachsicht gegenüber Algerien zielen. Beobachter sehen darin einen bewussten Kurswechsel: Weg von einem geduldigen, oft von kolonialhistorischer Rücksicht geprägten Dialog – hin zu einer realpolitischen Haltung, die migrations-, sicherheits- und geopolitische Interessen in den Vordergrund stellt.
Der Schatten des Westsahara-Konflikts
Ein zusätzlicher Belastungsfaktor ist Frankreichs jüngste Anerkennung der marokkanischen Souveränität über die Westsahara im Juli 2024 – ein außenpolitischer Kurswechsel, der in Algier als offene Parteinahme für den Rivalen Rabat gewertet wurde. Algerien, das die Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario unterstützt, reagierte mit scharfer Kritik und setzte mehrere bilaterale Abkommen mit Frankreich aus. Auch französische Diplomaten wurden des Landes verwiesen.
Dieser Schritt war mehr als Symbolpolitik. Er signalisiert, dass Algerien seine Rolle als regionale Ordnungsmacht im Maghreb neu definieren will – mit klarer Abgrenzung zu Frankreich. Paris wiederum versucht, durch die Nähe zu Marokko geopolitisch verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Der Preis dafür ist jedoch eine tiefere Spaltung zwischen den beiden ehemaligen Partnern.
Risiko oder Neuausrichtung?
Die Strategie Macrons ist nicht ohne Risiken. Einerseits könnte ein anhaltender diplomatischer Bruch wirtschaftliche Kooperationen gefährden – Algerien ist ein wichtiger Energiepartner und strategischer Akteur im Kampf gegen den Terrorismus in der Sahelzone. Andererseits könnte eine härtere Gangart gegenüber Algier innenpolitisch als Stärke wahrgenommen werden – insbesondere im Kontext einer von migrationspolitischen Debatten geprägten innenpolitischen Landschaft.
Auch die Symbolik spielt eine Rolle. In Frankreich leben rund 5 Millionen Menschen mit Wurzeln in Algerien. Jede Eskalation zwischen den Regierungen könnte auch innergesellschaftliche Spannungen befeuern. Die französisch-algerische Beziehung bleibt damit nicht nur eine außenpolitische, sondern auch eine innenpolitische Herausforderung.
Die Frage ist nun, ob Algerien zu einer Reaktion bereit ist, die über symbolische Maßnahmen hinausgeht. Bisher gibt sich Algier unnachgiebig – auch weil die französischen Maßnahmen dort als einseitig, ja bevormundend wahrgenommen werden. Ein diplomatischer Neubeginn wäre nur möglich, wenn beide Seiten bereit sind, über historische Verletzungen hinweg zu einer pragmatischen Partnerschaft zu finden.
Die französisch-algerischen Beziehungen stehen an einem Scheideweg. Emmanuel Macron setzt auf einen Kurs der klaren Kante – in der Hoffnung, verlorene politische Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Ob daraus ein neuer, realistischer Dialog entsteht oder ob die Spirale der Entfremdung weiterdreht, wird entscheidend für die Stabilität in Nordafrika und die sicherheitspolitische Lage in Europa sein.
Autor: Andreas M. Brucker
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