Tag & Nacht




Ein Video, ein weißes Objekt, ein französischer Präsident – und schon brodelt die Gerüchteküche im Netz. Was am 9. Mai 2025 in einem Zug nach Kiew passiert ist, hätte eigentlich kaum jemand bemerkt. Doch aus einem banalen Moment wurde eine internationale Schlagzeile. Warum?

Auf den Aufnahmen, die viral gingen, ist Emmanuel Macron zu sehen – gemeinsam mit dem britischen Labour- und Regierungs-Chef Keir Starmer und dem CDU-Politiker und Bundeskanzler Friedrich Merz. Macron greift nach einem weißen Objekt auf dem Tisch. Innerhalb von Stunden wird dieses Detail zur angeblichen „Kokain-Enthüllung“.

Wer hat’s veröffentlicht? Die üblichen Verdächtigen: Verschwörungstheoretiker, rechte Meinungsmacher wie Florian Philippot, russische Propaganda-Kanäle – selbst Maria Zakharova vom russischen Außenministerium mischte mit. Der Vorwurf: Macron schiebt sich heimlich eine Dosis Koks rein.

Was wirklich auf dem Tisch lag? Ein Taschentuch.

Ein schneller Konter aus dem Élysée

Das französische Präsidentenamt verlor keine Zeit. Ein einfaches Foto wurde gepostet – mit einem Zoom auf das ominöse Objekt. Dazu der trockene Kommentar: „C’est un mouchoir, pour se moucher le nez.“ Ein Taschentuch, um sich die Nase zu putzen. Punkt.

Lakonisch, klar, und fast ein bisschen genervt.

Eine Desinformationsmaschine läuft heiß

Macron ist kein Neuling auf diesem Spielfeld. Seit 2017 zieht er den Unmut russlandnaher Gruppen auf sich. Jedes Zeichen westlicher Einigkeit, jede diplomatische Unterstützung für die Ukraine – das alles wird zum Anlass genommen, Gerüchte zu streuen. Wer keine Fakten hat, erfindet eben welche. Oder wie sagt man in Frankreich? „Quand on veut tuer son chien, on dit qu’il a la rage.“

Russlands Ziel ist klar: Zweifel säen, Spaltung fördern, das Vertrauen in westliche Regierungen untergraben. Ein Taschentuch wird da zum willkommenen Vehikel.

Ein geopolitisches Schachspiel

Die Reise nach Kiew war kein Wochenendausflug. Sie steht im Kontext der fortschreitenden militärischen und diplomatischen Unterstützung der Ukraine durch Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Gerade jetzt, wo Putins Einfluss zu bröckeln scheint und die internationale Solidarität wächst, ist jeder Versuch willkommen, diese Einigkeit zu sabotieren.

In diesem Sinne ist der Kokain-Vorwurf nicht nur absurd – er ist politisch motiviert. Die Ablenkung vom echten Geschehen ist Programm.

Wer glaubt, verliert

Was lernen wir daraus? Vor allem eines: Social Media ist ein Minenfeld. Ein harmloser Moment, aus dem Kontext gerissen, kann zum Brandbeschleuniger einer globalen Falschmeldung werden. Und viele springen leider nur zu gerne darauf an. Schnell ist geteilt, was empört – ohne zu prüfen, ob’s überhaupt stimmt.

Wer heute online unterwegs ist, braucht mehr als einen gesunden Menschenverstand. Man braucht Geduld, Faktenprüfung – und manchmal eine Prise Humor.

Denn ganz ehrlich: Wer denkt, dass ein Präsident in einem vollbesetzten Diplomatenzug offen Drogen konsumiert und das dann auch noch gefilmt wird – der glaubt vermutlich auch, dass die Erde flach ist und Elvis noch lebt.

Medien, Macht und Mumpitz

Was bleibt? Ein gutes Beispiel für die Macht der Bilder – und ihre Manipulierbarkeit. Ohne Kontext, ohne Erklärung, dafür mit reißerischer Erzählung versehen. Die sozialen Netzwerke bieten dafür die perfekte Bühne. Und wer die Macht der Bilder zu nutzen weiß, kann Meinung machen – auch wenn die Grundlage fehlt.

Das erklärt auch, warum professionelle Medien, Institutionen und seriöse Faktenchecker so unverzichtbar geworden sind. Gerade jetzt, in Zeiten internationaler Krisen, ist die Wahrheit oft das erste Opfer.

Und Macron? Der putzt sich die Nase – und macht einfach weiter.

Von Andreas M. Brucker

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