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Die Verschiebung der Rentenreform offenbart nicht strategische Klugheit, sondern politische Unsicherheit

Der französische Präsident hat gesprochen – und wie so oft bleibt das Echo seiner Worte doppeldeutig. In Ljubljana erklärte Emmanuel Macron, die umstrittene Rentenreform werde nicht aufgehoben, nicht suspendiert, sondern lediglich „in der Zeit verschoben“. Eine Formulierung, die weniger Klarheit als vielmehr neue Fragen aufwirft. In der Sprache der Macht bedeutet sie: Der Wille zur Reform bleibt, der Mut zur Umsetzung fehlt vorerst.

Dass eine Regierung mit Formulierungen operiert, um politische Manöver zu flankieren, ist kein Novum. Doch im Fall der Rentenreform geht es um mehr als terminologische Feinheiten. Macron hatte im Frühjahr 2023 mit aller Kraft – und unter Umgehung eines regulären Parlamentsvotums – eine Reform durchgesetzt, die das Renteneintrittsalter auf 64 Jahre anheben und die Finanzierung des Rentensystems langfristig sichern sollte. Seither ist viel politisches Kapital verbrannt worden, nicht zuletzt durch den autoritären Stil der Durchsetzung. Nun also ein Rückzug – ohne ihn so zu nennen.

Worte, die verschleiern, statt zu klären

Es wäre voreilig, in Macrons neuer Wortwahl bereits eine Wende zu erkennen. Vielmehr spricht alles dafür, dass es sich um einen taktischen Rückzug handelt: Ein Moratorium unter neuem Namen, um politische Beruhigung zu erreichen, ohne auf den grundsätzlichen Reformanspruch zu verzichten. Dies mag kurzfristig klug erscheinen, doch langfristig droht es den Schaden zu vergrößern.

Denn wer strukturelle Reformen mit unscharfen Begriffen versieht, untergräbt deren Legitimität. Für die Bevölkerung bleibt unklar, ob die Reform nun gilt, verschoben ist – oder still beerdigt wurde. Für die Sozialpartner ist nicht ersichtlich, ob sie mit einem festen Fahrplan rechnen dürfen. Und für das Parlament stellt sich die Frage, in welcher Rolle es überhaupt noch agiert.

Macron hatte sich stets als Präsident der Modernisierung inszeniert – als jemand, der unbequeme Wahrheiten nicht scheut. Diese Rolle verlangt jedoch Klarheit und Standfestigkeit, nicht semantische Verrenkungen. Eine Reform, die das soziale Gefüge tiefgreifend verändert, bedarf eines glaubwürdigen politischen Kurses – nicht eines Hinhaltens.

Politischer Pragmatismus oder Opportunismus?

Gewiss, die Regierung steht unter Druck. Der Haushalt 2026 verlangt Einsparungen, das Parlament ist fragmentiert, die gesellschaftliche Stimmung volatil. Doch all dies ist kein Freifahrtschein für eine Politik der Ambiguität. Wer Reformen nur dann verteidigt, wenn sie gerade opportun erscheinen, gefährdet nicht nur ihre Wirksamkeit, sondern auch die politische Kultur.

Es ist eine Binsenwahrheit der institutionellen Politik: Gesetze leben nicht allein von ihrem Inhalt, sondern auch von der Art, wie sie begründet und vermittelt werden. Wer einmal durchregiert, dann verzögert, dann beschwichtigt – ohne klare Linie – verliert das Vertrauen der einen, ohne das Wohlwollen der anderen zu gewinnen.

Macrons Entscheidung, die Reform „zeitlich zu verschieben“, ist Ausdruck einer Regierung, die zwischen Reformwillen und Machterhalt schwankt. Sie zeigt den Versuch, Widersprüche nicht zu lösen, sondern zu übertünchen. In einer Zeit, in der die großen Herausforderungen – demografischer Wandel, Haushaltskonsolidierung, soziale Gerechtigkeit – nach verlässlichen Antworten verlangen, ist das ein gefährliches Spiel.

Autor: Andreas M. Brucker

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