Tag & Nacht

Marine Le Pen will im Falle ihres Wahlsiegs innerhalb von sechs Monaten einen Gesetzentwurf über Einwanderung und nationale Identität zur Volksabstimmung stellen – und ihr Plan hätte erhebliche Auswirkungen auf alle in Frankreich lebenden Ausländer, selbst wenn sie die französische Staatsbürgerschaft angenommen haben.

Dieser Gesetzentwurf „wird eine Reihe von Artikeln unserer Verfassung ändern, um die Migrationsfrage zu integrieren, aber auch um zu verhindern, dass supranationale Gerichtsbarkeiten Frankreich eine Politik aufzwingen, die dem Willen des französischen Volkes zuwiderläuft“, schildert die Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen ihren Plan.

Sollte Le Pen die Wahl gewinnen und das Gesetz verabschiedet werden, hätten schätzungsweise 3,5 Millionen Menschen in Frankreich plötzlich nicht mehr die gleichen Rechte wie „französische Staatsangehörige“.

Dazu gehören auch Menschen, die seit Jahrzehnten in Frankreich leben, und sogar soche, die französische Staatsbürger geworden sind.

Der Plan für den „nationalen Vorrang“ sieht einen rechtlichsverbindlichen Unterschied zwischen Franzosen und Ausländern bei Arbeitsplätzen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst sowie beim Zugang zu Sozialwohnungen, Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen vor.

Le Pen, die von Beruf Juristin ist, weiß, dass der von ihr vorgeschlagene Gesetzesentwurf gegen die französische Verfassung, europäische Konventionen und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1789 verstößt. Deshalb will sie ein Referendum durchführen lassen, um das Parlament zu umgehen und die Prüfung des Gesetzes durch den Conseil Constitutionnel – Frankreichs oberstes Verfassungsgericht – zu umgehen, das den Entwurf mit hoher Wahrscheinlichkeit für verfassungswidrig erklären würde.

Artikel eins des vorgeschlagenen Gesetzes – hier verfügbar (pdf) – enthält den folgenden Text: „Der Zugang von Ausländern zu jeder öffentlichen oder privaten Beschäftigung, zur Ausübung bestimmter Berufe, wirtschaftlicher oder verbandlicher Tätigkeiten, beruflicher oder gewerkschaftlicher Vertretungsfunktionen sowie zum Bezug von Solidaritätsleistungen wird durch Gesetz geregelt.“

„Das Gesetz legt die Bedingungen und Bereiche fest, in denen der Inländervorrang, verstanden als Vorrang der Staatsangehörigen, angewendet werden kann.“

In Artikel sechs heißt es: „Das Gesetz kann Personen, die die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates besitzen, den Zugang zu Arbeitsplätzen in staatlichen Stellen, öffentlichen Unternehmen und juristischen Personen, die mit einem öffentlichen Auftrag betraut sind, untersagen.“

Le Pens Einwanderungsgesetz würde das Recht von im Ausland geborenen Einwohnern Frankreichs abschaffen, unter anderem für Unternehmen wie La Poste, EDF, SNCF, Unternehmen im Sozial- und Gesundheitsbereich zu arbeiten, und würde außerdem „strafrechtliche oder verwaltungsrechtliche Sanktionen zur Bestrafung der Handlungen einer natürlichen oder juristischen Person ermöglichen, die die Regeln für die Einreise, den Aufenthalt oder die Arbeit von Ausländern in Frankreich missachtet, auch durch jegliche Unterstützung.“ Der Gesetzesentwurf würde nicht nur den Zugang zu bestimmten Berufen blockieren, sondern Ausländern in Frankreich auch Familienbeihilfen und andere Leistungen vorenthalten, ihnen den Zugang zu Gewerkschaften verwehren, den Erwerb der französischen Staatsbürgerschaft erschweren, das „droit du sol“ (Recht auf die Staatsbürgerschaft für in Frankreich geborene Personen) abschaffen und viele Familienzusammenführungen in Frankreich verhindern.

Auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung würde erschwert.

Ausländer, die sich unter Le Pen in Frankreich niederlassen wollen, müssen nachweisen, dass sie „einen Versicherungsvertrag haben, der ihre Gesundheitskosten abdeckt“, denn, so warnt die RN-Kandidatin, „sie dürfen keine Kosten für das Sozialversicherungssystem und die öffentlichen Finanzen darstellen“. Es ist nicht klar, wie lange Ausländer eine private Krankenversicherung abschließen müssen und ab wann sie sich im französischen Gesundheitssystem anmelden dürfen.

Le Pens Vize Renaud Labaye besteht darauf, dass die entsprechenden Definitionen im Verfassungstext so weit wie möglich gefasst werden müssten, damit die einzelnen gesetzlichen Bestimmungen „den Umfang der Verbote“ regeln könnten, einschließlich für diejenigen, die eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen.

Bereits gegenwärtig sind bestimmte Berufe – zum Beispiel leitende Positionen im öffentlichen Dienst – französischen Staatsangehörigen vorbehalten, auch einige Positionen im öffentlichen Sektor dürfen nur von EU-Bürgern ausgeübt werden. Auf lokaler Ebene können alle EU-Bürger für ein Amt kandidieren – z. B. als Stadtrat oder Bürgermeister -, aber um für ein Amt als Abgeordneter, Senator oder Präsident zu kandidieren, muss man Franzose sein.

Entscheidend ist jedoch, dass es bisher keine Unterscheidung zwischen Menschen gibt, die als Franzosen geboren wurden, und solchen, die die französische Staatsbürgerschaft erst später im Leben zum Beispiel durch Heirat oder Wohnsitz erworben haben – es gab bereits zwei französische Präsidentschaftskandidaten (Eva Joly im Jahr 2012 und Anne Hidalgo im Jahr 2022), die nicht von Geburt an französische Staatsbürger waren. Schon in ihren Wahlkampagnen 2012 und 2017 schlug Le Pen vor, die doppelte Staatsbürgerschaft zu verbieten, d. h. dass Menschen nur dann französische Staatsbürger werden könnten, wenn sie die Staatsbürgerschaft ihres Geburtslandes aufgeben. Im Jahr 2022 hat sie diese Politik jedoch aufgegeben, zur Überraschung der Hardliner in ihrer Partei.

Die französischen Staatsbürgerschaftsregeln sind relativ großzügig und erlauben die Einbürgerung nach fünf Jahren Aufenthalt – allerdings mit einer Menge Papierkram, einem französischen Sprachnachweis und einer durchschnittlichen Wartezeit von 18 Monaten.

Frankreich hat im Jahr 2020 etwa 86.000 Menschen die Staatsbürgerschaft verliehen, und vor und nach dem Brexit-Referendum haben viele Briten, die seit vielen Jahren in Frankreich leben, die französische Staatsbürgerschaft angenommen, um ihre EU-Rechte zu behalten.


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