Man hört es bis ins Herz von Marseille: das tiefe Dröhnen der Bagger, das Kreischen der Schneidbrenner, die dumpfen Schläge der Abrissmeißel.
Die Autobahn A7, jene Lebensader, die Lyon mit Marseille verbindet, bleibt dieses Wochenende vom 4. bis 6. Juli 2025 komplett gesperrt – zwischen Les Pennes-Mirabeau und der Gare Saint-Charles. 36 Stunden lang ist Schluss mit Ferienverkehr in diesem Abschnitt.
Was ist los auf der „Autoroute du Soleil“?
Freitag um Mitternacht gingen die Sperrbalken runter, Sonntag um 12 Uhr sollen sie wieder verschwinden. Grund: Zwei Fußgängerbrücken aus den 1950er Jahren – „La Martine“ und „Mère de Dieu“ – sind so marode, dass ein bloßes Flicken nicht mehr ausreicht.
Oder, wie Stéphane Maurone von der Präfektur Bouches-du-Rhône es formuliert:
„Es geht nicht mehr darum, zu reparieren, sondern abzureißen und neu zu bauen. Würden wir die Brücken im aktuellen Zustand belassen, gefährdeten wir massiv die Sicherheit der Nutzer.“
Wenn Beton bröselt, helfen keine Pflaster
Die beiden Brücken überspannen die A7 in den nördlichen Vierteln Marseilles. Über Jahrzehnte trugen sie Generationen von Fußgängern, Radfahrern und Schulkindern – jetzt haben sie ihre Lebenszeit überschritten.
Die Bauarbeiten laufen in drei Phasen ab: Erstens: Abriss der Brückentafeln an diesem Wochenende. Zweitens: Verstärkung der Pfeiler und Auflager. Drittens: Einbau der neuen Brückenteile bis spätestens Herbst.
Dafür sind rund zwanzig Techniker und Ingenieure im Dauereinsatz – bei Tag, bei Nacht, bei drückender Hitze. Marseille schwitzt bei über 31 Grad, die Baukolonnen schwitzen mit.
Mitten in den Ferien – wer plant sowas?
Klar, dass diese Vollsperrung viele Reisende zur Weißglut treibt. Ausgerechnet zum Ferienauftakt, wenn das südfranzösische Verkehrsnetz ohnehin an seine Belastungsgrenzen stößt.
Rund 100.000 Fahrzeuge rollen im Durchschnitt täglich über diesen Streckenabschnitt. Jetzt wird der gesamte Verkehr umgeleitet – vor allem über die A55 und die A50. Wer Marseille vom Norden her erreichen möchte, muss deutlich mehr Zeit einplanen.
Doch warum gerade jetzt?
Mathieu Canal, Projektleiter, weiß um die Kritik: „Es gibt nie einen guten Zeitpunkt, um eine Autobahn wie die A7 zu sperren. Aber angesichts der Tatsache, dass im Vélodrome-Stadion zur Zeit kein Großevent stattfindet, und der technischen Zwänge war dieses Wochenende die am wenigsten ungünstige Option.“
Eine Aussage, die wenig tröstet, aber der Realität entspricht. Oder gibt es jemals einen perfekten Moment, um eine Hauptschlagader einer Millionenstadt lahmzulegen?
Festivals, Konzerte, Wirtschaftsgipfel – Chaos vorprogrammiert
Hinzu kommt: Marseille und Aix-en-Provence sind an diesem Wochenende Gastgeber zahlreicher Veranstaltungen. Neben Festivals finden auch die renommierten „Rencontres économiques d’Aix“ statt, ein wirtschaftspolitisches Spitzentreffen mit Teilnehmern aus ganz Europa.
Die Präfektur rät daher dringend, Reisen frühzeitig zu planen, auf öffentliche Verkehrsmittel auszuweichen und – wer kann – einfach den Zug zu nehmen. Besonders für Fluggäste mit Ziel Aeroport Marseille-Provence bietet sich die Anreise in die Stadt per Bahn an, um nicht im Blechlawinenchaos zu stranden.
Digital informiert statt analog genervt
Für alle, die trotz Sperrung mit dem Auto unterwegs sind, gilt: Augen auf und Ohren gespitzt.
Die Verantwortlichen haben Ausweichrouten ausgeschildert, Radio Vinci Autoroutes sendet ständige Updates, Verkehrstafeln zeigen aktuelle Infos, und natürlich hilft auch die App Waze, durch den Asphaltdschungel zu navigieren.
Wer nicht vorbereitet ist, steht im Stau – wer vorbereitet ist, steht vielleicht etwas weniger lang im Stau.
Ein Knochenjob mit Zukunftsperspektive
So ärgerlich die Sperrung auch sein mag, sie ist unumgänglich. Schließlich sollen Brücken nicht nur tragen, sondern vor allem sicher sein. Das Projekt ist Teil einer umfassenden Modernisierungsstrategie des französischen Autobahnnetzes, um marode Bauwerke zu ersetzen, bevor es zu Tragödien kommt. Denn niemand möchte erleben, was Italien 2018 mit dem Einsturz der Morandi-Brücke in Genua erlebt hat.
Sicherheit hat ihren Preis.
Und der wird in Marseille gerade in Form von Geduld, Umwegen und Zeitverlust bezahlt.
Ein kurzer Blick nach vorne
Im Herbst sollen die neuen Brückentafeln eingehoben und fertig montiert werden. Dann fließt der Verkehr wieder ungehindert und sicher. Bis dahin gilt: Durchhalten.
Denn so sehr die Sonne auf dem Asphalt brennt – eine intakte Brücke ist allemal wichtiger als eine freie Fahrt ohne Umleitung.
Und wer weiß – vielleicht wird diese kleine Geduldsprobe für manche Autofahrer oder manche Reisende zur unerwarteten Lektion in Entschleunigung.
Autor: C.H.
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