Tag & Nacht


Wer in diesen Tagen in den Norden der französischen Karibikinsel Martinique blickt, sieht – nichts Auffälliges. Die Montagne Pelée, jener ikonische Vulkan, der sich über die üppige Landschaft erhebt, liegt scheinbar friedlich da. Doch der Schein trügt. Unter der Oberfläche tut sich etwas. Und zwar nicht wenig.

In den vergangenen Wochen wurde unter dem Vulkan eine beunruhigend hohe Anzahl an kleinen Erdbeben registriert – mehr als 6.000 in nur einem Monat. Allein zwischen dem 26. September und dem 3. Oktober 2025 verzeichnete das Observatoire Volcanologique et Sismologique de Martinique (OVSM) über 2 500 seismische Ereignisse. Im Vergleich: In den vier Wochen davor lag der Wochendurchschnitt noch bei rund 1.500. An anderen Stellen ist sogar von über 8.000 Beben in vier Wochen die Rede.

Das ist kein Rauschen im Hintergrund. Das ist ein Alarmton – wenn auch ein leiser.

Was genau passiert da?

Die meisten dieser Erdbeben sind so schwach, dass sie von der Bevölkerung nicht gespürt werden. Und dennoch sagen sie viel über den Zustand des Vulkans aus. Sie konzentrieren sich auf einen Bereich nur wenige Kilometer unterhalb des Gipfels, in Tiefen zwischen 0,9 und 4,3 Kilometern. Besonders auffällig: Es handelt sich nicht nur um klassische Mikrobeben, sondern um sogenannte hybride oder Long-Period-Ereignisse. Diese deuten auf Bewegungen von Gas oder Flüssigkeit im Inneren des Vulkans hin – Anzeichen für ein „Erwachen“.

Oder besser gesagt: eine „Reaktivierung“. Denn ganz wach war die Montagne Pelée schon lange nicht mehr.

Ein Vulkan mit Geschichte – und Trauma

Die Montagne Pelée ist nicht irgendein Vulkan. Am 8. Mai 1902 ging sie mit verheerender Wucht in die Geschichte ein: Eine pyroklastische Wolke zerstörte damals die Stadt Saint-Pierre, tötete fast 30.000 Menschen binnen Minuten und verwandelte den Ort in ein apokalyptisches Trümmerfeld.

Seitdem gehört der Vulkan zu den am intensivsten überwachten des französischen Überseegebiets. Und seine Geschichte wirkt wie ein stiller Mahner: Nimm die Zeichen ernst – aber verliere nicht den Kopf.

Was sagen die Expert:innen?

Die gute Nachricht: Aktuell gibt es keine Hinweise auf eine unmittelbar bevorstehende Eruption. Es wurde keine signifikante Deformation des Vulkangebäudes festgestellt, auch die Gasemissionen zeigen keine ungewöhnlichen Ausschläge. Dennoch: Der Lärm im Innern ist nicht zu überhören – zumindest nicht für die empfindlichen Instrumente des OVSM.

Die Behörde spricht von einem seismischen Energiepegel, der „so hoch ist wie noch nie seit Beginn der Reaktivierung im Jahr 2019“. Man beobachtet. Man misst. Man wertet aus. Und man warnt, ohne Panik zu verbreiten.

Denn die Erfahrung zeigt: Solche Phasen können entweder in eine Eruption münden – oder sich schlicht verlaufen, ohne dass etwas Dramatisches passiert.

Was heißt das für die Menschen auf der Insel?

Für die Bewohner:innen Martiniques – ebenso wie für Tourist:innen – bedeutet das vor allem: informiert bleiben. Die Behörden raten dazu, sich regelmäßig über die offiziellen Kanäle des OVSM auf dem Laufenden zu halten. In Risikozonen, insbesondere im Norden der Insel, sollte man sich mit den offiziellen Evakuierungsplänen bekannt machen. Bei spürbaren Erschütterungen gilt: Ruhe bewahren, Schutz suchen, Abstand von instabilen Hängen halten.

Es geht nicht um Alarmismus, sondern um Aufmerksamkeit. Denn zwischen Überreaktion und Verharmlosung liegt ein schmaler Grat. Genau auf diesem Grat bewegt sich Martinique derzeit.

Ein Balanceakt zwischen Alltag und Alarmbereitschaft

Man darf nicht vergessen: Martinique ist nicht nur eine Vulkaninsel, sondern auch ein Sehnsuchtsort für Tourist:innen, ein Lebensraum für Zehntausende. Wirtschaft, Alltag, Normalität – all das steht in einem Spannungsfeld mit der latenten Bedrohung aus der Tiefe.

Ein plötzlicher Einbruch der Tourismuszahlen, Panikkäufe oder übereilte Evakuierungen wären überzogen. Doch die jetzige Situation ist auch eine Chance: Sie zwingt zur Verbesserung der Informationsketten, zur Übung des Ernstfalls, zur Schärfung der Wahrnehmung. Denn wenn sich eines gezeigt hat in der Geschichte aktiver Vulkane: Am Ende zählt, wer vorbereitet ist.

Und jetzt?

Die Montagne Pelée brodelt – und sie schläft nicht. Die Wissenschaft hört ihr genau zu. Und sie tut gut daran. Denn selbst wenn es keine unmittelbare Gefahr gibt, ist dieses seismische „Flüstern“ ein wertvoller Hinweis darauf, dass unter dem Gipfel Bewegung herrscht.

Vielleicht bleibt alles ruhig. Vielleicht auch nicht. Doch wer sich vorbereitet, hat im Ernstfall mehr als nur einen Schritt Vorsprung.

Autor: Andreas M. Brucker

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!