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Frankreich kämpft auf verlorenem Posten – zumindest auf europäischer Ebene. Während die EU-Staaten mehrheitlich dem Freihandelsabkommen mit dem Mercosur (Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay und Bolivien) positiv gegenüberstehen, lehnt Paris es vehement ab. Aber warum eigentlich? Und was macht die französische Position so einzigartig?

Eine Welle des Widerstands in Frankreich

Die Diskussion über das Mercosur-Abkommen schlägt in Frankreich hohe Wellen, besonders bei Landwirten. Seit dem 18. November demonstrieren Bauern landesweit gegen das Abkommen, das den Import von Agrarprodukten aus Südamerika erleichtern soll. Die Sorge: Es droht ein ruinöser Wettbewerb mit Produkten, die unter weniger strengen Umwelt- und Produktionsstandards hergestellt werden.

Diese Ängste werden von der Politik geteilt – selten war Frankreichs politische Landschaft so einig. Vom linken bis zum rechten Spektrum, vom Élysée-Palast bis zur Opposition: Alle sprechen sich gegen das Abkommen aus. Sogar 600 Parlamentarier schrieben einen offenen Brief an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und forderten das Ende der Verhandlungen.

Doch auf EU-Ebene bleibt die französische Position isoliert. Kein anderer Mitgliedstaat zeigt eine derart kompromisslose Haltung.

Warum Frankreich so allein dasteht

Frankreich hat es nicht leicht, Partner für eine Blockade zu finden. Das EU-Handelsrecht erfordert keine Einstimmigkeit, sondern lediglich eine qualifizierte Mehrheit. Für eine Blockade müssten mindestens vier Länder mit insgesamt 35 % der EU-Bevölkerung zustimmen. Die bisherigen Versuche, solche Verbündeten zu finden, verliefen jedoch schleppend.

Einige Länder äußern zwar Bedenken. Österreich war einst skeptisch, doch die jüngste politische Entwicklung könnte die Haltung der neuen Regierung ändern. Ähnlich verhält es sich in Irland, das ursprünglich auf der Seite Frankreichs stand, nun aber weniger klar positioniert ist – wohl auch wegen bevorstehender Wahlen.

Italien und Polen könnten theoretisch wichtige Partner sein. Doch auch hier bleibt die Lage diffus. Zwar lehnt Italiens Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida das Abkommen ab, doch der Außenminister Antonio Tajani sieht es positiv. In Polen gibt es zwar Widerstand seitens der Landwirtschaft, doch ein offizielles Veto erscheint unwahrscheinlich.

Die Befürworter wiegen schwer

Gleichzeitig gibt es starke Stimmen innerhalb der EU, die das Abkommen unterstützen. Spanien etwa – ein großes Agrarland – ist trotz der Sorgen seiner Bauern dafür. Der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez erhofft sich wirtschaftliche Vorteile für andere Sektoren.

Auch Deutschland spricht sich klar für das Abkommen aus. Die wirtschaftliche Lage des Landes, geprägt von einer zweiten Rezession in Folge, macht den Zugang zu neuen Märkten und Rohstoffen attraktiv. Bundeskanzler Olaf Scholz sieht das Mercosur-Abkommen als Gelegenheit, die wirtschaftliche Abhängigkeit von instabilen Partnern wie China oder den USA zu reduzieren.

Die EU-Kommission selbst ist ebenfalls entschlossen. Vor dem Hintergrund stagnierender Konjunktur und wachsender globaler Unsicherheiten betrachtet sie das Abkommen als essenziell für die wirtschaftliche Zukunft Europas.

Frankreichs besondere Beziehung zur Landwirtschaft

Aber warum bleibt Frankreich so standhaft? Ein Schlüssel liegt in der besonderen Bedeutung der Landwirtschaft für die französische Identität. Das Land hat eine lange Tradition kleiner, familiengeführter Betriebe und einer starken Verbindung zwischen Bevölkerung und landwirtschaftlicher Produktion.

Hinzu kommen politische Versprechen. Präsident Emmanuel Macron hat sich bereits vor den Europawahlen 2024 gegen das Mercosur-Abkommen positioniert – und diese Haltung beibehalten. Die Regierung steht unter Druck, insbesondere nach der schweren Agrarkrise Anfang 2024, die die öffentliche Meinung stark beeinflusst hat.

Die Angst vor unfairen Wettbewerbsbedingungen treibt viele Landwirte auf die Barrikaden. Sie fordern, dass Importe aus Südamerika denselben Umwelt- und Produktionsstandards unterliegen wie europäische Produkte. Diese sogenannten „Spiegelklauseln“ sind ein zentrales Anliegen der französischen Kritik.

Ein diplomatischer Balanceakt

Frankreichs Haltung könnte jedoch auch auf internationaler Ebene Konsequenzen haben. Die anhaltende Ablehnung durch Paris wird von anderen EU-Staaten zunehmend als Blockade wahrgenommen. Kritiker werfen der französischen Regierung vor, einseitig zu handeln und die Vorteile für andere Sektoren – etwa die Verteidigungsindustrie – außer Acht zu lassen.

Es stellt sich die Frage: Schadet Frankreich durch seine starre Haltung nicht letztlich sich selbst? Ohne Partner in der EU und ohne eine überzeugende Alternative könnte das Land riskieren, weiter isoliert zu werden.

Die Verhandlungen über das Mercosur-Abkommen befinden sich in der heißen Phase. Frankreich steht damit vor einer schwierigen Entscheidung: Festhalten an der Ablehnung und riskieren, außen vor gelassen zu werden – oder Kompromisse eingehen, um andere Interessen zu wahren. Die Antwort auf diese Frage wird zeigen, ob Frankreich seine europäische Position festigen oder weiter geschwächt wird.


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