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Die Enthüllungen um sexuellen Missbrauch im privaten Gymnasium Paul Melizan in Marseille haben eine Welle des Entsetzens ausgelöst. Ehemalige Schüler beschuldigen Abbé Raymond Melizan, von 1951 bis 1997 Lehrer und Direktor des Lycées, des sexuellen Missbrauchs. Obwohl die ersten Opfer bereits 2018 gehört wurden, blieb die Affäre lange Zeit unter Verschluss. Doch nun, nach neuen Aussagen, hat das Thema eine größere Öffentlichkeit erreicht.

Erste Vorwürfe: Eine interne Untersuchung ab 2018

2018 meldeten sich mehrere ehemalige Schüler bei den kirchlichen Behörden in Marseille. Die Aussagen beschreiben Übergriffe, die bis in die 1950er-Jahre zurückreichen. Pierre Brunet, der Generalvikar des Bistums Marseille, bestätigte kürzlich, dass damals „glaubwürdige Zeugenaussagen“ eingegangen seien. Diese Opfer hätten jedoch ausdrücklich gewünscht, dass die Angelegenheit nicht an die Öffentlichkeit dringt, sondern lediglich intern bearbeitet wird.

Damals reagierte das Bistum mit interner Prüfung und Sensibilisierung, hielt die Erkenntnisse jedoch weitgehend geheim. Nun wird jedoch immer deutlicher, dass das Schweigen nicht nur die Aufklärung verzögert, sondern auch das Leid der Opfer vergrößert hat.

Neue Zeugenaussagen und juristische Schritte im Jahr 2024

Im Oktober 2024 ging ein Bericht über neue Vorwürfe ein, unter anderem über die nationale unabhängige Instanz für Anerkennung und Entschädigung (Inirr). Diese Institution wurde geschaffen, um Opfern von Missbrauch in der Kirche Gehör und Unterstützung zu bieten. Eine der gemeldeten Taten soll sich in den 1980er-Jahren ereignet haben. Diese Opfer wurden inzwischen anerkannt und entschädigt.

Angesichts der neuen Entwicklungen wurde der Staatsanwaltschaft in Marseille ein umfassender Bericht übergeben. Jacques Le Loup, Direktor des katholischen Bildungswesens in Marseille, erklärte, dass es wichtig sei, alle möglichen Informationen zu bündeln, um ein vollständiges Bild zu erhalten – auch wenn Melizan bereits 2016 verstorben ist.

Eine schmerzhafte Konfrontation mit der Vergangenheit

Das Gymnasium Paul Melizan, das den Namen des Gründers und Vaters von Raymond Melizan trägt, hat bereits Maßnahmen ergriffen, um auf die Enthüllungen zu reagieren. Porträts des Abbés wurden aus den Räumen entfernt, und Orte, die seinen Namen trugen, wurden umbenannt.

Caroline Amenc, die aktuelle Direktorin des Lycées, beschreibt die Situation als „schmerzlich, aber notwendig“. Sie betonte, dass das Gymnasium weiterhin die Werte des ursprünglichen Gründers Paul Melizan vermitteln wolle, der als Namensgeber der Institution bestehen bleibt.

Neue Opfer melden sich – und die Zahl könnte weiter steigen

Seit der öffentlichen Bekanntmachung am 12. November 2024 haben sich sieben weitere Opfer gemeldet. Der Diözesanbeauftragte für den Umgang mit Missbrauchsfällen, Pierre Brunet, betont, dass diese Entwicklungen eine neue Phase der Offenheit und Proaktivität markieren. Ziel sei es, alle Betroffenen zu unterstützen und sicherzustellen, dass ihre Stimmen gehört werden.

Die Diözese arbeitet eng mit staatlichen Behörden und der unabhängigen nationalen Kommission zusammen. Gleichzeitig ermutigt sie weitere potenzielle Opfer oder Zeugen, sich zu melden, um Licht in diese dunkle Geschichte zu bringen.

Ein zerrissenes Vermächtnis

Raymond Melizan war jahrzehntelang eine zentrale Figur im Lycée Paul Melizan und genoss in Marseille hohes Ansehen. Als Ritter der Ehrenlegion und langjähriger Direktor galt er als Symbol für katholische Bildung. Doch die Enthüllungen werfen einen dunklen Schatten auf sein Erbe.

Die Affäre zeigt einmal mehr, wie tiefgreifend der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche ist und wie dringend umfassende Transparenz erforderlich bleibt. Während die Diözese Marseille ihre Bemühungen verstärkt, steht eines fest: Der Weg zur Gerechtigkeit für die Opfer ist noch lange nicht abgeschlossen.


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