Ein halbes Jahr ist vergangen, seit gewaltige Wassermassen am 17. Oktober 2024 über Teile Südostfrankreichs hereinbrachen. Besonders schwer getroffen: die Haute-Loire. Und auch wenn die Schlagzeilen längst anderen Themen gehören – vor Ort sind die Spuren der Katastrophe allgegenwärtig. In einigen Gemeinden sind die Aufräumarbeiten noch im Gange, an anderen Orten wird bereits über Abriss statt Wiederaufbau gesprochen.
Die Flut, die alles veränderte
630 Millimeter Regen – in wenigen Stunden. Diese extreme Wassermenge hat im Herbst ganze Landschaften umgestaltet. Über 900 Menschen mussten damals in Sicherheit gebracht werden, mehr als 1.000 Feuerwehrkräfte waren rund um die Uhr im Einsatz. Die Flut traf weite Teile der Rhône-Alpes-Region, doch in der Haute-Loire war die Zerstörung besonders drastisch. Rund 40 Gemeinden meldeten massive Schäden. Infrastruktur, Straßen, Häuser – vieles wurde mitgerissen, manches unbewohnbar.
Coubon und Brives-Charensac: Zwei Orte, zwei Wege
In Coubon zieht man jetzt eine Konsequenz, die schwerfällt, aber wohl notwendig ist. Vier Wohnhäuser, die zu nah am Flussufer stehen, sollen abgerissen werden. Die Gemeinde hat bereits mit dem Kauf dieser Immobilien begonnen, unterstützt von staatlichen Stellen und dem sogenannten Fonds Barnier – einer speziellen Hilfe zur Vorbeugung von Naturkatastrophen. Die Entscheidung ist nicht leicht, doch leerstehende und gefährdete Gebäude wären ein Risiko – für die Sicherheit und gegen illegale Besetzung.
Ein paar Kilometer weiter, in Brives-Charensac, wird hingegen aufgebaut. Die Uferpromenade samt Rad- und Fußweg am Audinet-Wehr ist bereits wiederhergestellt. Mauern wurden neu errichtet, beschädigte Strukturen stabilisiert. Auch im örtlichen Sportzentrum beginnen bald die Renovierungsarbeiten – ein Zeichen von Hoffnung, trotz aller Widrigkeiten.
Wenn Geld zur Geduldsprobe wird
Nicht alles läuft glatt. Die Sofortmaßnahmen sind abgeschlossen, doch viele Gemeinden warten noch immer auf konkrete Finanzierungszusagen vom Staat oder auf Rückmeldungen der Versicherungen. In Coubon etwa fällt es dem stellvertretenden Bürgermeister schwer, überhaupt einen Haushaltsplan für 2025 zu erstellen – zu viele Unbekannte, zu viele offene Fragen. Immerhin: In Brives-Charensac könnten sich die Schadenssummen niedriger als befürchtet herausstellen. Statt vier Millionen Euro rechnet man nun mit etwas weniger. Ein schwacher Trost, aber ein Anfang.
Der stille Weckruf
Diese Flut hat mehr als nur Straßen unter Wasser gesetzt. Sie hat Bewusstsein geschaffen – oder es zumindest geschärft. Die Haute-Loire zählt 171 Gemeinden, die als hochwassergefährdet gelten. Eine Zahl, die wachrütteln sollte. Der Abriss gefährdeter Häuser ist dabei keine einfache Lösung, sondern eine bittere Notwendigkeit. Wer auf denselben Fundamenten neu bauen will, läuft Gefahr, beim nächsten Unwetter alles wieder zu verlieren.
Doch aus dem Trümmerfeld kann auch Neues entstehen: klügere Bauplanung, bessere Schutzmaßnahmen, mehr Resilienz. Wenn die Gemeinden jetzt die Chance nutzen, ihre Infrastruktur robuster und zukunftsfähiger zu machen, könnte aus der Katastrophe langfristig sogar ein Wandel hervorgehen.
Und die Menschen?
Sie sind erschöpft, aber sie halten durch. Man trifft auf Dorfbewohner, die mit Gummistiefeln in der Hand von Behördenbesuchen erzählen. Auf Bürgermeister, die sich von Sitzung zu Sitzung kämpfen. Und auf Bauarbeiter, die Mauern errichten, als ginge es um mehr als nur Stein auf Stein – nämlich um ein Stück Zukunft.
Vielleicht ist das der wahre Kern dieser Geschichte: Trotz aller Verluste bleibt der Wille zum Wiederaufbau. Nicht exakt wie vorher – sondern besser, sicherer, durchdachter.
Von Andreas M. Brucker
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