Tag & Nacht




Fast sieben Jahre ist es her – doch das Geschehene lässt sich nicht vergessen. Ein 11-jähriger Junge aus dem Département Essonne hat sich im November 2018 das Leben genommen, nachdem er monatelang Opfer von Mobbing und Gewalt geworden war. Nun hat das Verwaltungsgericht in Versailles ein klares Urteil gefällt: Der französische Staat muss den Eltern des Jungen eine Entschädigung in Höhe von 92.000 Euro zahlen.

Ein hoher Betrag? Vielleicht. Aber kein Geld der Welt kann das wieder gutmachen, was geschehen ist.

Ignorierte Signale und unzureichende Reaktion

Die Richter waren sich einig: Die Schule und das zuständige Bildungsamt hatten von den Vorfällen gewusst – und dennoch zu wenig unternommen. Mediation, Gesprächsangebote, verstärkte Aufsicht – all das wurde zwar angestoßen. Doch wie das Gericht es ausdrückte: „unzureichend“. Vor allem aber: Es wurden keine klaren Sanktionen gegen die Täter verhängt.

Ein schwerwiegender Fehler, so das Urteil. Denn damit habe der Staat eine Pflichtverletzung begangen – er habe nicht ausreichend für den Schutz des Kindes gesorgt. Und diese Nachlässigkeit habe dazu beigetragen, dass das Mobbing weiterging – mit tödlichen Folgen.

Ein Martyrium in mehreren Akten

Zwischen September 2017 und April 2018 durchlebte der Junge eine regelrechte Leidensgeschichte. Bereits zu Schuljahresbeginn wurde er auf dem Pausenhof gedemütigt – Mitschüler zogen ihm die Hose herunter. Eine besonders perfide Form der öffentlichen Bloßstellung. Wenig später, im Zustand besonderer Verletzlichkeit – er lief auf Krücken – wurde er so heftig gestoßen, dass beide Ellenbogen brachen. Ein doppelter Bruch – physisch wie seelisch.

Doch das war nicht alles. Über das ganze Schuljahr hinweg wurde er mehrfach geschlagen, beleidigt, bedroht – sogar vor seinem eigenen Zuhause. Das Trauma war tief. Und obwohl er schließlich die Schule wechselte, war der Schaden längst angerichtet.

Am 21. November 2018 sah der Junge keinen anderen Ausweg mehr – und nahm sich das Leben.

Ein Urteil, das mehr ist als ein Schuldspruch

Die Justiz erkennt in ihrem Urteil klar an, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Mobbing und einem Suizid besteht. Es ist nicht irgendein Urteil – es ist ein gesellschaftliches Signal. Denn es geht nicht nur um diesen einen Fall. Es geht um Verantwortung. Um die Frage: Wer schützt unsere Kinder, wenn der Schulhof zum Tatort wird?

Wie oft wird Mobbing noch bagatellisiert, kleingeredet oder schlicht ignoriert? Wie oft hört man: „Kinder sind eben so“? Und wie viele Betroffene schweigen – aus Angst, aus Scham oder weil ihnen niemand zuhört?

Mehr als nur ein Mahnmal

Das Urteil aus Versailles ist mehr als nur eine rechtliche Entscheidung. Es ist eine Warnung an Schulen, Lehrkräfte und die Bildungsverwaltung: Wegschauen ist keine Option mehr. Verantwortung beginnt dort, wo erste Anzeichen sichtbar werden – nicht erst, wenn das Schlimmste bereits geschehen ist.

Mobbing ist keine Phase. Es ist Gewalt. Und es kann töten.

Vielleicht bringt dieses Urteil etwas in Bewegung. Vielleicht sorgt es dafür, dass ein Fall wie dieser nicht noch einmal passiert. Vielleicht hören wir endlich besser hin, wenn Kinder sich verändern, sich zurückziehen oder auffällig ruhig werden.

Denn am Ende – mal ehrlich – was ist eine Entschädigung von 92.000 Euro gegen das Leben eines Kindes?

Von Catherine H.

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