Am 19. Mai 1802 setzte Napoleon Bonaparte ein Zeichen, das Frankreich bis heute prägt. Mit der Gründung der Ehrenlegion (Légion d’honneur) schuf er nicht nur einen neuen Orden, sondern auch ein republikanisches Instrument zur Anerkennung von Verdiensten – unabhängig von Geburt, Stand oder Titel. Die Institution, einst ein Mittel zur politischen Festigung seiner Macht, entwickelte sich zu einer der konstantesten und zugleich wandelbarsten Ehrungen der französischen Republik.
In einer Zeit, in der das revolutionäre Frankreich alle traditionellen Monarchie-Symbole abgeschafft hatte, stand die junge Republik vor einem Dilemma: Wie sollte eine Gesellschaft, die Adelsprivilegien verwarf, außergewöhnliche Leistungen anerkennen? Napoleon, der sich als Erbe der Revolution und Architekt eines neuen französischen Staates sah, antwortete mit einem Orden, der nicht auf Abstammung beruhte, sondern auf individuellem Verdienst. Die Ehrenlegion war damit Ausdruck eines meritokratischen Ideals, das dem republikanischen Selbstverständnis entsprach – und dennoch in Form und Ritual an monarchische Traditionen erinnerte.
Der republikanische Adel für Leistung
Die Ehrenlegion war von Beginn an ein Hybrid: republikanisch im Anspruch, aristokratisch in ihrer Erscheinung. Die fünf Klassen – vom Ritter bis zum Großkreuz – spiegeln eine klare Hierarchie wider, in der militärische wie zivile Verdienste gewürdigt werden. Die Auswahl erfolgte durch den Staatschef, zunächst durch Napoleon, später durch die Präsidenten der Republik. Die Träger des Ordens, ob Generäle, Schriftsteller, Ingenieure oder Unternehmer, sollten als Vorbilder fungieren – als neue Elite einer Leistungsgesellschaft.
Diese Idee war ebenso politisch wie gesellschaftlich motiviert. Napoleon nutzte die Ehrenlegion zur Bindung von Eliten an das neue Regime. Die Verleihung war zugleich ein Akt der Integration: Aus ehemaligen Monarchisten wurden republikanische Diener, aus Revolutionären loyale Staatsbeamte. Die Ehrenlegion war damit auch ein Instrument der Befriedung nach Jahren ideologischer und sozialer Kämpfe.
Ein Spiegel wechselnder Regime
Im Laufe der französischen Geschichte überstand die Ehrenlegion mehrere Monarchien, zwei Weltkriege, Besatzung, Republikgründungen und Präsidentenwechsel. Ihre Wandlungsfähigkeit ist bemerkenswert: Während sie im Zweiten Kaiserreich zum exklusiven Orden der politischen Loyalisten wurde, diente sie in der Dritten Republik verstärkt der Ehrung ziviler Verdienste. Unter Charles de Gaulle wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg zur moralischen Instanz erhoben – insbesondere durch die Auszeichnung von Widerstandskämpfern und Exilpolitikern.
Bis heute wird die Ehrenlegion jährlich an etwa 2.000 Personen verliehen. Darunter befinden sich nicht nur Soldaten, Wissenschaftler und Kulturschaffende, sondern auch Pflegekräfte, Lehrer, Sozialarbeiter:innen – Berufsgruppen, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft übersehen werden. Diese Entwicklung zeigt den Versuch, das Ideal einer egalitären Gesellschaft mit der Praxis staatlicher Ehrung zu verbinden.
Zwischen Stolz und Kritik
So bedeutungsvoll die Ehrenlegion für viele ist, so umstritten bleibt sie in anderen Kreisen. Prominente Persönlichkeiten wie Jean-Paul Sartre, Albert Camus oder die Résistance-Kämpferin Lucie Aubrac lehnten den Orden ab – aus politischen oder moralischen Gründen. Auch innerhalb Frankreichs wird gelegentlich die Undurchsichtigkeit der Auswahlkriterien kritisiert oder der inflationäre Gebrauch des Ordens bemängelt. Dass etwa auch Großunternehmer oder Politiker regelmäßig ausgezeichnet werden, wird nicht von allen als Ausdruck republikanischer Anerkennung gewertet.
Dennoch bleibt die Ehrenlegion tief im französischen Selbstverständnis verankert. In kaum einem anderen Land hat ein staatlicher Orden eine vergleichbare symbolische Funktion. Wer ihn trägt, stellt sich öffentlich in den Dienst der Nation – und wird von dieser gewürdigt.
Internationale Ausstrahlung
Frankreich verleiht die Ehrenlegion auch an Ausländer, die sich in besonderer Weise um die Republik verdient gemacht haben. Diese Praxis verleiht dem Orden eine diplomatische Dimension: Er ist zugleich Zeichen des Dankes, der Freundschaft und des kulturellen Einflusses Frankreichs. Von Goethe über Clinton bis zu Angela Merkel: Die Liste ausländischer Träger liest sich wie ein diplomatisches Kompendium der französischen Außenbeziehungen.
Die Ehrenlegion wirkt heute in einer Welt, in der das Konzept des Nationalstaats zunehmend hinterfragt wird. Doch gerade in Zeiten gesellschaftlicher Fragmentierung bietet sie eine seltene Form öffentlicher Wertschätzung – jenseits von Marktlogik oder medialer Inszenierung. Ihre Fortexistenz zeugt von der andauernden französischen Überzeugung, dass der Staat eine moralische Instanz sein kann und muss, die das Gemeinwohl ehrt und fördert.
Von Andreas Brucker
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