Tag & Nacht


Es sind nur zwei Euro. Eine Erhöhung um 2,3 Prozent. Doch für Millionen Pendlerinnen und Pendler in der Region Île-de-France bedeutet diese kleine Zahl eine große Veränderung.

Ab Januar 2026 soll das monatliche Navigo-Abo – das Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs rund um Paris – von 88,80 Euro auf 90,80 Euro steigen. Noch muss der Verwaltungsrat von Île-de-France Mobilités (IDFM) am 10. Dezember zustimmen. Doch alles deutet darauf hin, dass eine Preiserhöhung kommt. Schon wieder.

Denn bereits im Januar 2024 hatte sich das Ticket um 2,40 Euro verteuert. Damals von 86,40 auf 88,80 Euro – eine Steigerung von 2,8 Prozent. Nun folgt der nächste Schritt.

Der Rhythmus ist beunruhigend.

Wer jeden Tag zwischen Vorort und Hauptstadt pendelt, spürt diese Summen nicht nur am Monatsende. Sie sind ein Spiegel der wachsenden Belastung durch ein komplexes, teures und zunehmend unter Druck stehendes Nahverkehrssystem – in einer Metropolregion, in der über zwölf Millionen Menschen leben und arbeiten.

Man könnte versucht sein, mit einem Schulterzucken zu reagieren. Zwei Euro, das sei doch nichts angesichts der Inflationsraten der letzten Jahre, angesichts steigender Energiepreise, angesichts der notwendigen Investitionen in Infrastruktur und Sicherheit.

Doch wer so argumentiert, übersieht den wahren Kern der Debatte.

Denn beim Navigo-Pass geht es längst nicht mehr nur um den Preis eines Tickets. Es geht um Vertrauen – in die Politik, in die Verkehrsbetriebe, in das Versprechen, dass Mobilität in einer demokratischen Gesellschaft kein Luxus sein darf.

Paris, die Hauptstadt des 21. Jahrhunderts, rühmt sich ihrer umfassenden ÖPNV-Struktur: Métro, RER, Busse, Tramlinien – ein Netzwerk, das seinesgleichen sucht. Doch dieses System ist teuer. Sehr teuer.

Allein die Wartung und Modernisierung der Infrastruktur verschlingt jährlich Milliarden. Neue Strecken, barrierefreie Bahnhöfe, umweltfreundlichere Busflotten – all das muss bezahlt werden. Und ein großer Teil dieser Rechnung wird auf die Nutzerinnen und Nutzer abgewälzt.

Das Navigo-Modell galt lange als französisches Vorzeigemodell. Einheitspreis für alle Zonen, keine Ticketverwirrung, ein Monat, ein Preis – egal ob man in Versailles, Saint-Denis oder mitten in Paris wohnt. Es war ein Symbol für sozialen Ausgleich und regionale Solidarität.

Doch genau dieses Gleichgewicht gerät nun ins Wanken.

Die regelmäßigen Erhöhungen stoßen auf immer mehr Kritik – besonders bei jenen, die täglich auf den Nahverkehr angewiesen sind. Wer im äußeren Gürtel der Region lebt, pendelt oft zwei Stunden und mehr – pro Strecke. Der Navigo-Pass war für viele von ihnen ein notwendiger Kompromiss: teuer, aber alternativlos.

Jetzt wird dieser Kompromiss brüchig.

Im Hintergrund dieser Preiserhöhung steht eine Debatte, die weit über Tarifpolitik hinausgeht: Wer finanziert in Zukunft den öffentlichen Nahverkehr? Und wie gerecht ist dieses System?

Der französische Staat hält sich bei der Finanzierung von IDFM zunehmend zurück. Lokale Gebietskörperschaften, die Arbeitgeber – und eben die Nutzerinnen und Nutzer – werden stärker in die Pflicht genommen.

Es ist ein stiller Paradigmenwechsel.

Was einst als öffentliches Gut galt, rückt zunehmend in den Bereich individueller Verantwortung. Mobilität wird zur Privatsache – oder schlimmer: zur sozialen Frage.

Dabei drängt die Zeit. Die Region bereitet sich auf die Olympischen Spiele 2024 vor, der Grand Paris Express – das gigantische U-Bahn-Ausbauprojekt – verschlingt Milliarden. Gleichzeitig steigen die Betriebskosten, Energiepreise und Personalaufwendungen.

Und doch bleibt die Frage: Wie viel darf Mobilität kosten?

Zwei Euro mehr im Monat mögen für manche verkraftbar sein. Für andere – etwa Menschen mit niedrigem Einkommen, Alleinerziehende, Studierende oder Rentner – bedeutet es den Verzicht auf anderes. Es ist die Summe aus vielen kleinen Erhöhungen, die letztlich den Unterschied machen.

IDFM verteidigt die Maßnahme als moderat und notwendig. Und ja – im europäischen Vergleich ist der Preis für den Navigo-Pass immer noch konkurrenzfähig. Doch der Blick ins Ausland greift zu kurz, wenn die Lebensrealitäten vor Ort ignoriert werden.

Der öffentliche Nahverkehr in Paris steht an einem Scheideweg.

Wird er weiterhin ein Werkzeug für soziale Integration, Klimaschutz und urbane Lebensqualität sein? Oder verkommt er zu einem weiteren Kostenfaktor im Alltag derer, die ohnehin schon viel schultern?

Die Antwort auf diese Frage entscheidet nicht nur über den Preis eines Monatstickets.

Sondern über die Zukunft der Mobilität in einer der wichtigsten Metropolregionen Europas.

Autor: Andreas M. Brucker

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