Tag & Nacht


Die Wahl von Zohran Mamdani zum Bürgermeister von New York ist ein politisches Signal, das weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinausreicht. In einer Zeit, in der sich die großen Metropolen der westlichen Welt zunehmend im Spannungsfeld zwischen urbaner Offenheit und nationalstaatlicher Rückbesinnung bewegen, könnte Mamdanis Erfolg ein Modellfall für große Städte in Deutschland und Frankreich darstellen – oder zumindest ein Anstoß für neue politische Denkmuster.

Der Triumph einer urbanen Koalition

Mit 34 Jahren, multikulturellem Hintergrund und klar sozialpolitischer Agenda verkörpert Mamdani einen neuen Typus städtischer Führung: nicht moderat verwaltend, sondern offen konfliktbereit – gegen die politische Rechte, gegen ökonomische Verdrängung, gegen soziale Entwurzelung. Dass er den Wahlkampf trotz massiver persönlicher Anfeindungen gewann – teils mit islamfeindlicher Rhetorik behaftet –, spricht für eine tragfähige urbane Koalition aus jungen Wählern, migrantisch geprägten Milieus und progressiven Mittelschichten.

Dieser Typus ist nicht neu, aber in seiner strategischen Zuspitzung bemerkenswert. Mamdani führte eine Kampagne, die sich dezidiert an den sozialen Bedürfnissen orientierte: bezahlbarer Wohnraum, Schutz vor Abschiebung, gerechter Zugang zu kommunalen Leistungen. Dabei gelang ihm, was vielen linken Kräften in Europa zuletzt nicht mehr gelang: Er machte gesellschaftliche Vielfalt zur Stärke – nicht zum Abgrenzungsmerkmal.

Frankreichs urbane Linke auf der Suche

In Frankreich sucht die Linke seit Jahren nach einem Weg aus der Bedeutungslosigkeit. Die einst dominierenden sozialistischen Strukturen sind vielerorts zerfallen, an ihre Stelle trat ein Sammelsurium zersplitterter Bewegungen. Zwar gibt es mit Politikern wie Manon Aubry oder dem Pariser Grünen David Belliard Akteure, die Mamdanis Wahlkampf aufmerksam verfolgt haben. Doch der strukturelle Rückstand bleibt: Zu oft verliert sich die französische Linke in moralischer Arroganz und übersieht dabei die Lebensrealitäten jener, die am Monatsende kämpfen müssen.

Mamdanis Erfolg könnte hier als Korrektiv wirken: Er zeigt, dass soziale Gerechtigkeit nicht in abstrakten Konzepten, sondern in konkret erfahrbaren Versprechen wirksam wird. Nicht das „Ende der Welt“ muss verhindert werden – sondern zunächst das Ende des Monats bezahlbar bleiben.

Deutschland: zwischen Pragmatismus und Verunsicherung

Auch in Deutschland existiert das Spannungsfeld zwischen urbanem Fortschritt und gesellschaftlicher Polarisierung. Städte wie Berlin, Hamburg oder Köln vereinen kulturelle Offenheit, Diversität und einen hohen Innovationsgrad. Doch gleichzeitig wächst auch hier die soziale Spaltung – besonders am Wohnungsmarkt, in der Bildung, im Zugang zu öffentlicher Infrastruktur.

Mamdanis Wahlsieg illustriert, was in diesen Städten möglich ist: Eine Politik, die soziale Gerechtigkeit nicht als wohlfeiles Label, sondern als konkrete Handlungsanleitung versteht. Eine Linke, die nicht bei Identitätspolitik stehenbleibt, sondern sie mit Klassenfragen verknüpft. Und eine politische Kultur, die Vielfalt nicht nur duldet, sondern aktiv gestaltet.

Für deutsche Parteien – sei es die SPD, die Grünen oder postmaterielle Bewegungen – liegt hier ein Lehrstück: Die Zukunft der politischen Linken entscheidet sich nicht auf Parteitagen, sondern in den Quartieren der Städte. Dort, wo sich die Realität der Einwanderung mit sozialen Herausforderungen kreuzt, braucht es Präsenz, Klarheit und Nahbarkeit.

Städte als Laboratorien der Zukunft

Was Mamdani in New York gelungen ist, ist letztlich die Neuausrichtung einer städtischen Öffentlichkeit: weg von der Verteidigung des Status quo, hin zu einer aktiven Erzählung darüber, wie eine inklusive, gerechte und widerstandsfähige Stadt aussehen kann. Das Modell ist nicht universell übertragbar – New York bleibt in seiner Größe und Dynamik ein Sonderfall. Aber die Grundrichtung lässt sich verallgemeinern: Städte sind heute die Antipole zu einem zunehmend autoritär aufgeladenen Nationaldiskurs.

In Amsterdam, Budapest, London und nun auch New York formiert sich eine neue Generation von Stadtoberhäuptern, die sich dem kulturellen Rückzug verweigern – und die statt auf Spaltung auf sozialen Zusammenhalt setzen. Das ist kein einfacher Weg, und es ist kein bequemer. Aber er ist – das zeigt Mamdani – wählbar.

Sein Wahlsieg könnte so zum Ausgangspunkt einer neuen Debatte werden: Wie kann eine moderne, progressive Politik in der Stadt gestaltet werden, die sowohl sozialen Ausgleich schafft als auch kulturelle Vielfalt lebt? Deutschland und Frankreich wären gut beraten, die Antwort nicht nur in den eigenen Traditionslinien zu suchen – sondern auch in den Erfahrungen der globalen Städte des 21. Jahrhunderts.

Autor: Andreas M. Brucker

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