Nice – Nizza. Diese Stadt klingt nach Sommer, Croissants und Côte d’Azur. Doch in dieser Woche soll sie mehr sein: die Hauptstadt der Ozeane. Die dritte UN-Ozeankonferenz, UNOC-3, ist da. Eine Bühne für 20.000 Teilnehmende, Staatschefs, Wissenschaftlerinnen, NGO-Vertreter – und jede Menge Hoffnung. Hoffnung auf Schutz. Auf Rettung. Auf ein Signal. Doch was bleibt davon übrig, wenn die Kameras wieder aus sind?
Der Ozean stirbt – und wir applaudieren dabei
Es ist bizarr. Während Meeresökosysteme kollabieren, veranstaltet man in der Baie des Anges eine Drohnenshow und lädt zu DJ-Konzerten. Ja, es gibt Ausstellungen. Ja, es gibt Gespräche. Doch über all dem schwebt ein bitterer Beigeschmack: Ist das echte Veränderung oder nur ein aufwändig inszeniertes Schauspiel?
Was bringt uns ein UN-Ziel auf dem Papier, wenn gleichzeitig immer noch illegal gefischt wird? Wenn Plastikmüll sich durch Meeresströmungen frisst wie ein Parasit durchs Herz des Planeten?
Nizza will „Zéro Plastique“ bis 2025, 55 % weniger CO₂ bis 2030 – das klingt gut. Aber klingt es auch glaubwürdig? Wie viel davon ist tatsächlich im Alltag spürbar? Wo sind die Daten, die zeigen, dass sich die Situation verbessert? Und: Wer übernimmt Verantwortung, wenn Versprechen wie Seifenblasen platzen?
Von Meeresschutz reden – und im selben Atemzug Bodenschleppnetze zulassen?
Die Bodenschleppnetzfischerei ist eines der grausamsten Verbrechen an den Ozeanen. Ein Bulldozer über Korallen, der alles niederwalzt – Leben, Arten, ganze Ökosysteme. Wenn diese Praxis verboten wird: Bravo. Aber wenn sie bloß „stärker reguliert“ wird, heißt das doch nur, dass der Tod der Meere langsamer verläuft. Nicht, dass er aufhört.
Und dann stehen da große Namen, Spitzenköche, politische Führungspersonen und sagen: „Wir müssen handeln!“ Aber wo ist dieses Handeln denn? Im Sektglas beim Gala-Dinner? Im Auftritt auf der Bühne vor Blitzlichtern?
Lasst uns ehrlich sein.
Diese Konferenzen sind ein zweischneidiges Schwert. Ja, sie bieten Raum für Dialog, für Austausch, für Diplomatie. Aber sie verführen auch zur Show, zum Greenwashing, zum „Wir tun ja was“, ohne dass sich etwas Grundlegendes ändert. Die „Accords de Nice“ – ein schönes Etikett. Doch werden diese Abkommen mehr sein als ein weiteres Papiertiger-Dokument? Wer kontrolliert, wer sanktioniert, wer setzt durch?
Der Ozean ist kein Dekor – er ist unser Überleben
Unsere Meere regulieren das Klima. Sie geben uns Sauerstoff, Nahrung, Kühlung. Und doch behandeln wir sie wie Müllschlucker. Wie weit muss es kommen, bis wir begreifen, dass wir ohne gesunde Ozeane keine Zukunft haben?
Ich frage mich: Was werden wir unseren Kindern sagen? Dass wir tatenlos zugesehen haben, wie das größte lebendige System der Erde kollabierte? Oder dass wir endlich aufgestanden sind – gegen politische Untätigkeit, gegen industrielle Gier, gegen die Lüge vom ewigen „Weiter so“?
Nizza ist ein Symbol. Ein Brennpunkt. Aber auch ein Prüfstein. Wird es gelingen, dort nicht nur zu reden, sondern auch zu liefern? Werden aus Versprechen Gesetze? Aus PR-Momenten echter Wandel?
Der Planet wartet nicht
Während wir diskutieren, schmelzen Gletscher, versauern Meere, sterben Fische. Die Zeit der Konferenzen als Wohlfühlzonen für Entscheidungsträger ist vorbei. Wer heute Verantwortung trägt – in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft –, muss liefern. Kein „Vielleicht“, kein „Irgendwann“, kein „Wir prüfen das“.
Es ist unsere verdammte Pflicht.
Denn der nächste Sturm, das nächste Fischsterben, der nächste verlorene Korallenriff-Abschnitt – sie alle werden nicht fragen, ob wir ein schönes Event in Nizza gefeiert haben.
Von Andreas M. Brucker
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