Millionen auf den Straßen der USA, ein autoritärer Präsident im Weißen Haus und eine weitreichende territoriale Forderung Moskaus an Kiew – die jüngsten Entwicklungen in Nordamerika und Osteuropa werfen ein grelles Licht auf den weltpolitischen Zustand im Herbst 2025. Zwei Ereignisse, die auf den ersten Blick unabhängig voneinander erscheinen, offenbaren bei genauerer Betrachtung eine gemeinsame Linie: den Wandel internationaler Machtverhältnisse, getrieben von populistischen Führungsstilen und strategischem Territorialdenken.
Massen auf den Straßen: Der Aufstand gegen den Präsidenten
Die „No Kings“-Proteste haben sich binnen weniger Monate zu einer der größten zivilgesellschaftlichen Bewegungen der jüngeren US-Geschichte entwickelt. Am 18. Oktober gingen landesweit Millionen Menschen auf die Straße, um gegen das zu protestieren, was viele als autoritäre Überformung des amerikanischen Präsidialsystems empfinden. Der Name ist Programm: Keine Könige – gemeint ist eine Absage an Machtkonzentration, Selbstüberhöhung und das Aushebeln demokratischer Kontrollmechanismen.
Auslöser war, dass Donald Trump, nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus im Januar 2025, institutionelle Normen systematisch unterläuft. Zu den konkreten Vorwürfen zählen der verstärkte Einsatz föderaler Sicherheitskräfte in oppositionell regierten Städten, politische Säuberungen in Behörden sowie eine zunehmend feindselige Rhetorik gegenüber Parlament, Justiz und Medien. Dass Trump jüngst auch öffentlich mit dem Gedanken spielte, den Obersten Gerichtshof in seiner Zusammensetzung „zu überdenken“, befeuerte die Proteste zusätzlich.
Die Demonstrationen zeichnen sich durch ihre Breite und Organisiertheit aus. Neben klassischen Bürgerrechtsorganisationen beteiligen sich auch viele junge Menschen, Gewerkschaften und selbst konservative Gruppen, die um die amerikanische Verfassungsordnung fürchten. Auffällig ist dabei der dezentrale Charakter: Keine zentrale Führungsfigur, sondern ein Mosaik lokaler Gruppen mit einem gemeinsamen Credo – die Verteidigung demokratischer Grundsätze.
Dennoch bleibt offen, ob der Protest auch institutionelle Wirkung entfalten kann. Die republikanische Kongressmehrheit steht geschlossen hinter dem Präsidenten, die Gouverneure oppositioneller Bundesstaaten zeigen sich zwar solidarisch mit den Demonstranten, aber politisch weitgehend machtlos. Sollte Trump seine autoritäre Linie fortsetzen, könnten die „No Kings“-Proteste zum Nukleus eines langfristigen Widerstands werden – oder aber in der amerikanischen Protestgeschichte als moralisches Aufbegehren ohne strukturelle Konsequenz verpuffen.
Putins Territorialforderung: Ein gefährliches Spiel mit alten Mustern
Zeitgleich zur innenpolitischen Lage in den USA sorgte ein außenpolitischer Vorgang für weltweites Aufsehen: Wladimir Putin forderte in einem Telefongespräch mit Donald Trump die vollständige Aufgabe der ostukrainischen Region Donezk durch die Regierung in Kiew – als Bedingung für einen Waffenstillstand und ein mögliches Friedensabkommen.
Die Forderung markiert einen neuen Eskalationsschritt im seit über einem Jahrzehnt andauernden Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Zwar kontrolliert Moskau bereits große Teile von Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson – doch die explizite Forderung nach einer völkerrechtlich anerkannten Abtretung ist ein Tabubruch. Im Gegenzug stellte der Kreml eine schrittweise Rückgabe weniger strategisch relevanter Gebiete in Aussicht – ein Tausch, der in Kiew auf empörte Ablehnung stieß.
Brisant ist nicht nur der Inhalt der Forderung, sondern auch die Reaktion Washingtons. Trump, der sich bereits in seinem Wahlkampf 2024 als möglicher Vermittler inszenierte, äußerte sich zurückhaltend. Weder stellte er sich klar hinter die ukrainische Souveränität, noch drohte er Moskau mit Konsequenzen. Vielmehr sprach er von einer „realistischen Perspektive für Frieden“, was in europäischen Hauptstädten als absolut falsches Signal verstanden wurde.
Für Putin ist die Forderung doppelt kalkuliert: Innenpolitisch kann er sie als strategische Festigung russischen Einflusses präsentieren, außenpolitisch testet er die Bruchlinien der westlichen Solidarität. Sollte es ihm gelingen, über bilaterale Kanäle – etwa mit US-Präsident Trump – einen Separatfrieden durchzusetzen, hätte er nicht nur territoriale Gewinne gesichert, sondern auch das multilaterale westliche Bündnissystem untergraben.
Für die Ukraine stünde bei einer solchen Lösung weit mehr als nur Gebiet auf dem Spiel. Eine formale Aufgabe von Donezk würde einem geopolitischen Präzedenzfall gleichkommen: Das Recht des Stärkeren hätte obsiegt, territoriale Integrität wäre keine selbstverständliche Norm mehr, sondern Verhandlungsmasse. Nicht zufällig warnen osteuropäische Staaten wie Polen, Lettland oder Finnland vor einer Wiederkehr zur Politik der Einflusszonen.
Zudem steht die Glaubwürdigkeit westlicher Sicherheitspolitik auf dem Prüfstand. Sollte Washington, ob aus politischer Ermüdung oder strategischem Zynismus, zu territorialen Konzessionen in der Ukraine bereit sein, könnten auch andere Autokraten ermutigt werden, ihre Interessen offensiv durchzusetzen. Der Fall Ukraine wäre dann nicht mehr Einzelfall, sondern Symptom eines globalen Ordnungswandels.
Am Ende sind beide Entwicklungen – die Proteste gegen einen präsidialen Machtanspruch in den USA und Putins Versuch, neue Grenzen durchzusetzen – Ausdruck einer Welt im Umbruch. In der Innenpolitik wie in der Diplomatie entscheidet sich dieser Tage, ob Regeln und Institutionen Bestand haben oder dem Kalkül autoritärer Akteure weichen müssen.
Autor: P. Tiko
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