Am Freitag, dem 2. Mai 2025, staunten Passanten in Paris nicht schlecht: Ein Mann kletterte ohne jede Sicherung an der gläsernen Fassade der Tour Montparnasse empor – 210 Meter pures Risiko. Es handelte sich um den 31-jährigen Franzosen Anthony Andolfo, der in der Szene der urbanen Kletterer längst kein Unbekannter mehr ist.
Sein Outfit? Ganz unspektakulär: weißes Langarmshirt, dunkle Hose. Doch das, was er tat, war alles andere als gewöhnlich.
Adrenalin auf 59 Etagen
Andolfo startete seine Mission gegen späten Vormittag. Vor den Augen zahlreicher Schaulustiger hangelte er sich Stockwerk für Stockwerk nach oben, insgesamt 59 Etagen – ohne Seil, ohne Gurt, nur mit der Kraft seiner Hände und einer ordentlichen Portion Selbstvertrauen. Wie ein moderner Ikarus ohne Flügel, dafür mit Kletterfingern.
Er kam bis ganz nach oben. Doch dort wartete kein Applaus – sondern die Polizei. Die Beamten nahmen ihn in Gewahrsam. Kein Wunder, denn solche Aktionen sind in Frankreich gesetzlich untersagt und gelten als Eingriff in die öffentliche Sicherheit.
Zwischen Bewunderung und Kopfschütteln
Die Reaktionen auf diese Aktion waren so vielfältig wie Paris selbst. Manche bewunderten die sportliche Leistung und den Mut – oder nennen wir es lieber Waghalsigkeit? Andere wiederum kritisierten das Verhalten als unverantwortlich. Schließlich könnten Nachahmer auf dumme Ideen kommen – vor allem Jugendliche, die sich von derartigen Stunts gern inspirieren lassen.
Die Stadtverwaltung prüft bereits, wie die Sicherheitsvorkehrungen rund um das Hochhaus verschärft werden könnten. Zusätzliche Absperrungen, Bewegungsmelder oder gar Anti-Kletter-Beschichtungen sind im Gespräch. Denn die Tour Montparnasse wurde in der Vergangenheit schon mehrfach Ziel solcher illegaler Kletteraktionen.
Buildering: Zwischen Sport und Rebellion
Der Begriff „Buildering“ ist ein Kunstwort aus „Building“ und „Climbing“. Gemeint ist das Klettern an Gebäuden oder anderen urbanen Strukturen – ohne Genehmigung, versteht sich. Was in der Szene als Ausdruck persönlicher Freiheit und sportlicher Herausforderung gilt, ist in den meisten Städten verboten.
Einer der bekanntesten Vertreter dieser Disziplin ist der Franzose Alain Robert, auch als „Spiderman“ bekannt. Er erklomm bereits unzählige Wolkenkratzer weltweit, meist barfuß, oft mit der Polizei im Nacken.
Andolfo folgt diesem Vorbild – mit eigenen Ambitionen. Er sieht sich nicht als Rebell, sondern als Athlet, der die Grenzen des Machbaren auslotet. Ob das rechtlich und moralisch haltbar ist, bleibt fraglich.
Der schmale Grat zwischen Mut und Leichtsinn
Was treibt Menschen wie Anthony Andolfo an, ihr Leben auf diese Weise zu riskieren? Ist es der Kick, die Aufmerksamkeit oder doch die Suche nach einer tieferen Bedeutung? Diese Frage bleibt offen – und vielleicht ist genau das der Reiz dieser Aktionen.
Was sicher ist: Die physische und mentale Leistung solcher Kletterer ist enorm. Es braucht Kraft, Konzentration und eiserne Nerven. Doch ohne Sicherheitsmaßnahmen bleibt ein bitterer Beigeschmack – besonders, wenn es zu Unfällen kommt.
Und jetzt?
Die Diskussion ist eröffnet. Müssen Städte wie Paris künftig ihre Gebäude zu Festungen ausbauen, um sich gegen urbane Kletterkunst zu schützen? Oder sollten sie lieber mit legalen Angeboten wie Hochhaus-Kletterwänden auf öffentlichen Plätzen einen sicheren Rahmen schaffen?
Die Antwort liegt wohl irgendwo dazwischen. Denn solange es mutige Menschen gibt, die nach oben streben – im wahrsten Sinne des Wortes – wird es solche Grenzgänger geben.
Und wer weiß: Vielleicht schauen wir beim nächsten Spaziergang durch die Stadt wieder nach oben. Nur so – zur Sicherheit.
Von C. Hatty
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